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66 B u c h V. Kap. 2. §. 7.
Der unsrige überschritt niemals, wie es scheint, den sich selbst
gezogenen Kreis agronomischer Bestrebungen, suchte aber denselhen
im edelsten Sinne vollständig zu erfüllen. Wie Cato schloss
er weder Küche noch Keller noch die Heilkunde der Hausthiere
aus, vielleicht, wie wir sahen, nicht einmal die auf den Ackerbau
und die Viehzucht bezügUchen religiösen Ceremonien. Sogar die
ersten Kegeln der Kunst des Feldmessers verflicht er in sein grosses
Werk. Und wie Cicero vom wahren Redner beinahe alles verlangte,
was den Mann ziert, die höchste und umfassendste Bildung
des Geistes wie des Charakters: so verlangt Columella vom wahren
Landwirth ungefähr dasselbe. Es verdriesst ihn, dass es besondere
Schulen der Beredtsamkeit Geometrie Musik, ja sogar der
Kochkunst so wie der Kunst der Toilette gab, nur der Landwirthschaft
keine. Um diese im alten Rom einst so hoch geachtete
Kunst oder Wissenschaft wieder zu heben, bedurfte er ausser gediegenem
Gehalt auch ansprechender Formen, einer reinen edlen
Sprache und oratorischer Behandlung. Beides dem prosaischen
Theil seines Werks zu geben, gelang ihm aufs beste. Im zehnten
Buch wagte er sogar als Dichter einen Wettkampf mit Virgilius,
der freilich minder glänzend, wiewohl nicht beschämend ausfiel.
Er besang den Gartenbau, den jener in seinen Georgiken
nur flüchtig berührt hatte. Ob ihm aber durch das alles so, wie
Schlosser i) meint, gelungen ist, „seiner Wissenschaft einen Platz
unter den eigentlichen Schulwissenschaften zu gewinnen?" ob wirklich
dies Wer k „schon um seiner Form willen in den Schulen gelesen,
und unter die als klassisch z u e r k l ä r e n d e n Schriften gebracht
worden? Ich glaube nicht. Von Schulen der Landwirthschaft bei
den Alten wissen wir nichts; nur die Interpretation des Columella
in den Schulen der Grammatiker und Rhetoren konnte also Schlosser
bei jenen Behauptungen im Sinne haben, und die würde, wenn
sie stattgefunden hätte, über das Grammatische und Rhetorische
schwerhch hinaus gegangen sein. Mir scheint jedoch nicht, dass
Columella so viel Gnade vor den Augen dieser gestrengen Herren
B u c h V. Kap. 2. §. 7. 67
gefunden. Plinius und Gargilius Martialis benutzten ihn, Palladius
schrieb ihn halb aus, Cassiodorus empfahl ihn seinen Mönchen;
aber unter den Grammatikern citirt ihn Servius ein einziges
Mal zur Erläuterung eines agronomischen Ausdrucks, und sein
Landsmann Isidoras Hispalensis, indem er ihn in seinem Verzeichniss
römischer Georgiker anfuhrt, nennt ihn einen ausgezeichneien
Redner: bei den übrigen Grammatikern finde ich nicht einmal seinen
Namen.
Welche Fortschritte die Landwirthschaft überhaupt mit oder
durch Columella machte, kommt hier nicht in Betracht. Näher
berührt uns, dass die B a umz u c h t und der W e i n b a u mit unverkennbarer
Vorliebe, letzterer zumal bis ins feinste Detail hinein
von ihm behandelt sind. Leicht erkennt man dabei den sinnigen
ernsten, meist auch vorurtheilsfreien Beobachter der Natur,
wiewohl jede Naturforschung, die nicht sogleich eine nützliche Anwendung
verspricht, abgelehnt wird»). Beträchlich ist der Zuwachs
neuer Pflanzen-Arten und Abarten, und um so mehr einer
genaueren Betrachtung werth, weil Columella die Reihe derjenigen
Römer, welche wenigstens vorzugsweise aus eigener Beobachtung
von Pflanzen handeln, schliesst; wie auch weil das Verzeichniss
der bei ihm vorkommenden Pflanzen, welches Sprengel 2) lieferte,
und ein „ziemlich vollständiges" nannte, nicht nur die meisten
Abarten, sondern auch mehr als ein Drittel der wirklichen
J) Schlosser, imiversalhist. Uebersicht u. s. w. I I I , Seite á29 und 433,
1) Am entschiedensten , und nicht ohne verächtliche Seitenblicke in folgender
Stelle, I X , cap. 2, secU á et 5 : Sed ne illud quidem pertinet ad agrícolas,
quando et in qua regione primum. natae sint {apes) ; iitrum in Thessalia sub Aristaeo,
an in insula Cea, ut scribit Euhemerus, an Erechtliei temporibus in monte Hymeito,
ut Euthronius, an Cretae Saturni temporibus, ut Nicander ; non magis quam
utrum examina, tanquam. caetera videmus ammalia, concubitu sobolem procreent, an
haereditatem generis sui floribus eligant, quod affirmat noster Maro ; et utrum evomant
liquor em mellis, an alia parte reddant. Haec enim et his si mil i a magis
scrutaniium rerum naturae latebras, quam rusticorum est inquirere.
Studiosis quoque literarum gratiora sunt ista in otio legentibus,
quam neg otio si s agricolis, quoniam neque in opere neque in re familiari
qui d quam ju vant.
2) Sprengel, Gesch. d. Bot. I , S. 127 ff.
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