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276 B u c h VIIL §. 43.
die Jurisprudenz in ihren Gesetzbüchern, so in der Bibel eine
positive Grundlage anerkannte, sondern auch jede freie Forschung
über diese Grundlage selbst als Ketzerei brandmarkte, und die
Entscheidung ihrer Zweifel nicht von Gründen, sondern von Machtsprüchen
de'r Bischöfe, von dem Vorrange dieses Bischofes vor
jenem, von den Majoritäten der Kirchenversammlungen oder kaiserlichen
Edicten abhängig machte. Zu Gunsten des Glaubens,
und zwar nicht an das geofFenbarte Werk, sondern an die Deutung
desselben durch kirchliche Auctoritäten, leistete sie auf jedes Wissen
Verzicht; streng genommen war sie daher gar keine Wissenschaft,
sondern hatte von dieser nur die Form und die polemische
Waffe der Dialektik geborgt. Der Naturwissenschaft und
M e d i c i n stand sie gradezu feindlich gegenüber, wie sich aus
den vielen Belegen zu dieser Behauptung, welche Sprengel i) aus
dem theodosianischen Gesetzbuche den Kirchenvätern und christlichen
Historikern sammelte, und die sich leicht noch beträchtlich
vermehren Hessen, hervorgeht. Nur ein paar derselben hebe ich
,Wissbegierde ist nach Jesus Christus,aus. Forschung ist nach
demEvangelio nicht mehr von Nöthen," sagt schon Tertullianus 2)
in einer um 200 verfassten Schrift. Heftiger spricht sich Chrysostomos^)
um 400 so aus: „Die Herrschaft des Teufels ist die
Mutter der Poeten und Philosophen," Krankheiten behandelte
man nicht mehr mit profaner Medicin, sondern mit Gebet Handauflegen
geweihetem Salböl und Exorcismen, oder man betrachtete
sie gar als Strafen Gottes, denen man sich ohne Widerstreben^ fügen
müsste; glückliche Kuren, durch gewöhnliche Mittel bewirkt,
galten für Teufelswerk. Obgleich Zauberei von der Kirche für
schwere Sünde, vom Staat für ein Criminalverbrechen erklärt war,
so galt doch eine Besprechung im Namen Jesu, ein mit Bibelsprüchen
oder dem Kreuz versehenes Amulet, kurz jeder mit
kirchlichem Hokuspokus verbrämte Zauber nicht bloss für erlaubt,
1) Spreng eis Gesch. der Arziieikunde II, S. 196—211, 237 — 242,
1) Tertulliani de praescriptione haereticorum cap, 7.
3) Ghrysostomi homih 8 in Mathaeum pag. 95 ediu Front. Duc. (nach
Sprengel).
Buch VHL 43. 277
sondern der Glaube daran für Gewissenspflicht. War damit der
medicinischen Forschung der Nerv abgeschnitten, der Charlatanerie
Thür und Thor geöffnet, so darf man sich nicht wundern über die
Versunkenheit, worin wir di^ Medicin im Allgemeinen während
des vor uns liegenden Zeitraums antreffen werden, man begreift
vielmehr kaum, wie sie nicht ganz unterging, wie sich einzelne
reich begabte Männer sogar noch zu einer nicht unbeträchtlichen
Höhe durcharbeiten konnten. Leicht begreiflich ist dagegen zu
Anfang dieser Periode, nachdem jedoch längst jeder Götzendiener
vom Staatsdienst ausgeschlossen, jedes seiner Opfer mit Todesstrafe
bedroht war, die noch immer beträchtliche Anzahl heidnischer
im Vergleich zu der geringen Anzahl christlicher Aerzte,
so wie die fortwährend unverkennbare Hinneigung selbst der letztern
zu heidnischer Denkart. Ihren Galenos und andere Schriftsteller,
aus denen sie dieselbe einsogen, ersetzte ihnen kein christliches
Buch.
Mustern wir nun sämmtliche medicinische Schriften, denen
wir in diesem Buche begegnen werden, so lassen sie sich füglich
in vier Klassen bringen: 1. reine Denkmäler des krassesten Aberglaubens,
wie die K y r a n i d e n und was man dem Hermes Trism
e g i s t o s zuschrieb; 2. Verzeichnisse der Krankheiten, zu denen
man die Mittel dagegen, oder umgekeht der Mittel, zu denen man
die Krankheiten, die sie heilen sollten, schrieb. Verfasser solcher
Schriften waren zum Theil nicht einmal Aerzte, sondern gebildetere
Laien, die zu dem Zweck, sich und Andere gegen die Habsucht
gewissenloser Aerzte zu schützen, Excerpte anlegten und veröffentlichten,
wie Marcellus Empiricus und der sogenannte
P l i n i u s Valerianus; 3. die Verfasser enkyklopädischer Systeme
der Medicin, zusammengesetzt wenigstens dem grösseren
Theile nach aus Bruchstücken älterer Aerzte. Dergleichen Werke,
wie wir in nicht viel früherer Zeit, eins von Oribasios kennen
lernten, wiederholten sich von Zeit zu Zeit immer aufs Neue; so
in dieser Periode die des Aet ios Amydenos und Paulos
A e g i n e t e s . Endlich 4. Mittheilungen selbständiger Erfahrungen
und Forschungen, als seltene, in solcher Zeit bewunderungswürl
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