10 Buch I. Kap. 1. §. 2.
Sprache, auf dass er den Menschen ein Vorbild sei, wie so^ar
(rreise noch lernen können, was sie wollen. Ueber wie vieles, um
nicht zu sagen alles, schrieb nicht Varrò ! Welche Hülfsquelle
der Beredtsamkeit fehlte dem M. Tullius! Wozu noch mehr
wenn sogar Cornelius Celsus, ein Mann von mittelmäss
i g e m K o p f , n i c h t allein über all d i e s eKüns t e schrieb
(de his ommbus conscripserit artibus, - also eigentlich: compiirte),
sonder n dazu noch eine Anweisung zur Kriegsk
u n s t zur Landwirthschaft zur Heilkunst hinterl
i e s s , schon durch den Entschlus s dazu werth, dass
wir annehmen, er hät t e das alles gewusst!" - Hier hatte
man wiederum die Artes. Zwar schien Quintiiianus die drei
Werke des Celsus über Kriegskunst Landwirthschaft und Medicin
davon zu unterscheiden; weil man jedoch aus den Handschriften
wusste, dass die Medicin wirklich dazu gehört, so hielt
man das bloss für eine kleine Ungenauigkeit des Ausdrucks. Und
weil Cato als Historiker und Jurist gerühmt ward, und Celsus
„ u b e r all diese Küns t e " geschrieben haben sollte, so legte
man ihm zum Ueberfluss noch ein historisches und juristisches
Werk bei, von denen sonst nicht das mindeste gemeldet wird
Lndhch berief man sich auch auf des Plinius i) Versicherung, edle
Komer hätten sich mit der Arzneikunst entweder gar nicht befasst
oder wenn doch, nur griechisch darüber geschrieben; so wie auf
das Stillschweigen, womit derselbe da, wo er römische Aerzte aufzahlte)
den Celsus übergeht. Für einen edlen Kömer hielt man
den Celsus des Namens wegen, vielleicht mit Recht. Wäre er
nun em erfahrener Arzt gewesen, so, meinte man, hätte ihn Plinms
mcht ungenannt lassen, und obige Behauptung nicht aufstellen
können. Emen blossen Compilator dagegen konnte er ignoriren
Auf morscheren Stützen erhielt sich selten ein Gebäude so
lange aufrecht wie dieses. Dass das e rst e Buch der Medicin
des Celsus m mehrern Handschriften zugleich das sechste der
»
1) PI in. X X I X , cap. 1, sect. 8.
2) Ibidem XXV, cap. 2, sect. 2, 3; X X I X , cap. 1, sect. Ó.
B u c h L Kap. 1. §. 2. 11
A r t e s genannt wird, ist richtig; dam aber wird doppelt weiter
gezählt, so dass das zweite Buch der Medicin zugleich das siebte
der Artes u. s. w. genannt wird; folglich gingen der Medicin
nicht fünf andere We r k e , sondern nur fünf Bücher , vielleicht
eines einzigen Werks, unter dem gemeinschaftlichen Titel der Artes
voraus. Nun wissen wir, dass die Landwirthschaft früher geschrieben
war als die Medicin, dass sie grade aus fünf Büchern
bestand^), und dass sie auch die Thierarzneikunde mit umfasste^)^
Seine Medicin beginnt Celsus mit den Worten: „Wie die Landwirthschaft
den Gesunden Nahrung, so verheisst die Medicin den
Kranken Gesundheit." Diese beiden Werke standen also in genauer
Beziehung auf einander, und führten unverkennbar den gemeinschaftlichen
Titel der Artes; andere Werke gehörten entweder
gar nicht dazu, oder folgten auf sie; ihnen vorausgegangen
sein können sie nicht; das ergiebt sich aus der Zählung der Bücher.
Das sah auch Bianconi schon ein. Nun wissen wir aber
aus Kissels Untersuchungen, mögen auch die einzelnen Data
nicht alle ganz präcis sein, dass des Celsus übrige bekannte
Werke, höchstens vielleicht die Kriegskunst zweifelhaften Alters
ausgenommen, jünger sind als die Landwirthschaft und Medicin:
es ist also klar, dass sie nicht zu den Artes gehörten.
Eben so klar ist, dass des Quintilianus Ausdruck: „all diese
K ü n s t e " , gar nicht auf den Ti tel Artes bezogen werden kann,
weil Quintilianus grade diejenigen beiden Werke, die unzweifelhaft
zu den Artes gehörten, die Medicin und Landwirthschaft,
und das einzige Werk, was möglicherweise auch noch dazu gehört
haben könnte, die Kriegskunst, besonders anführt, und nicht
zu „all den Künsten", worüber Celsus geschrieben habe, rechnet.
Die Worte müssen also einen andern Sinn haben, und der ist
nicht schwer zu finden. Unmittelbar zuvor ist die Eede von Cicero's
mannichfachen Hülfsquellen der Beredtsamkeit. Was alles
dieser von einem vollendeten Redner verlangte, und wirklich selbst
1) Columella I, cap. 1, sect. 14.
2) Ergiebt sich aus Celsus V, cap. 28, sect. 16, und einigen Fragmenten
seiner Landwirthschaft bei Columella.