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302 B u c h Vili. Kap. 2. §. 47.
Schluss des Marcel lus Empiricus, uud Robert Constantin,
der sie 1566 auch seinem Celsus beifügte, nannte sie in der Ueberschrift
„ein dem Vindicianus beigelegtes Gedicht, welches aber
Nachschrift und Schluss des Serenus Samonicus zu sein
schiene." Diese letzte nur so hingeworfene Meinung fand viel
Beifall, unterandern auch bei Fabricius^); meines Erachtens hat
sie nicht nur nichts, namentlich die Auctorität keiner einzigen
Handschrift für sich, sondern im Gegentheil die gewichtigsten
Gründe gegen sich. Der Versbau ist noch weit nachlässiger und
unbehülilicher, die Sprache überhaupt schon tiefer gesunken wie
bei Serenus. Dieser sagt noch wie die Alten Sinäpi und CrÖcus,
jener Sinapi und Cröcus, und solche Freiheiten wie Cadmia zweisylbig,
Brassica als Pluralis von Brassicum zu gebrauchen, Nasturcum
statt Nasturcium zu schreiben, weil es eben besser in den
Vers passte, finden sich bei Serenus wenigstens seltener wie hier.
Von einer gewissen Eleganz der Behandlung des an sich so trockenen
Stoffes, die sich bei Serenus nicht verkennen lässt, hier keine
Spur. Das Ganze ist offenbar die Recapitulation eines grösseren
Werks, gleichsam ein Verzeichniss seines Inhalts; eine Menge
kostbarer und fremder Gewürze, die Serenus absichtlich ausschliesst,
kommen darin vor, und selbst manche gemeine Pflanze, die bei
Serenus fehlt, wie Serpillum, Intybus und Nastürcum, so dass,
wenn das Gedicht zu dem Werke des Serenus gehörte, dießecapitulation
mehr enthielte, als das Hauptwerk selbst. Sprengel2) nennt
es zwar ein Gedicht über die Bereitung des Theriaks, und ein
solches hätte Serenus seinem Gedicht wohl hinzufügen können;
das ist aber wieder eine von Sprengeis Flüchtigkeiten. Von der
Verbindung der genannten Arzneikörper zu einem zusammengesetzten
Mittel ist in den Versen gar nicht die Eede, sondern es heisst
nur, über diese Mittel handelte das vorangegangene Werk.
1) In E rne s t i ' s Ausgabe der bibliotk. latina, pag. 5S9, Note i., ist das
Wörtlein rectius, wodurch Fabricius dem Constantinus beipflichtete, unterdrückt,
und die Frage unentschieden gelassen. In der biblioth. graec. X I I I ,
pag. 445, erhielt es sich.
2) Sprengel, Gesch. der Ärzmik. II (dritte Aufl.), Ä. 246.
B u c h VIIL Kap. 2. §. 47. 303
jSTeuere haben daher mit Recht, doch ohne Widerlegung ihrer Vorgänger,
des Constantinus Meinung aufgegeben, und nur Hecker i),
obgleich er das Gedicht dem Vindicianus zuschreibt, will noch
immer „eine auffallende Aehnlichkeit jener metrischen Vorschrift
(die, wie ich gezeigt, gar keine Vorschrift ist) mit dem Werke
des Serenus" Avahrnehmen. Ob nun aber, wie Sprengel 2) meint,
von dem sich Heck er offenbar leiten Hess, Vindi c i anus , oder,
wie Keuchen ä), Bürmann^), Andreas Rivinus 5) und Morgagni 6)
meinen, Marcel lus Empiricus der wahre Verfasser sei, lässt
sich bei der getheilten Auctorität der Handschriften und bei unserer
dürftigen Kenntniss des Vindicianus zwar nicht mit Sicherheit
entscheiden; doch spricht die grössere Wahrscheinlichkeit unstreitig
für Marcellus. Denn Vindicianus wird nur in der Ueberschrift
des Gedichts in einigen Handschriften als dessen Verfasser
genannt, Marcellus nennt sich selbst als solchen in ausführlicher
Rede. Sein Schreiben an seine Söhne schliesst nämlich mit den
Worten: „Auch in einigen Versen tändelte ich über zusammengesetzte
und einfache Arzneimittel, nicht als wäre das Gedicht von
Werth, sondern um den Leser und Forscher dieses Werks durch
Poesie anzulocken, und durch einen schmeichelnden Wunsch
zu gewinnen" (das Gedicht schliesst nämlich mit dem Wunsch:
der Leser möge noch so viele Jahre leben, als er Verse gelesen).
„Ich habe sie ans Ende dieses Codex gestellt, theils um diese
meine mühsame Sammlung mit meinen eigenen Worten zu beschliessen,
theils um die Tändelei hinter den mannichfachen Inhalt
dieser Blätter zu verstecken." — Diese ganze Stelle müsste
unächt sein, wenn Marcellus nicht der Verfasser der Verse wäre;
1) Hecher, Gesch. der Heilkunde II, S. 29 / .
2) Spreng el a. a. 0.
3) Keuchen ad Serenum Samonic. vers. 6 (nach Bahr).
4) Burmann, poUt. latin. minor, I I , pag. 389.
5) Nach Choulant, Bücherk. der Media, {zweite Aufl.), S. 215, der von
diesen Versen zwar unter Vindicianus spricht, die Frage nach dem wahren
Verfasser aber unentschieden lässt.
6) Morgagni, opuscula miseellanea pag. 109 A, edit. Venet. 1763 fol.