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rationen die Beherrschten weiser und besser gemacht,
den Regenten hingegen hätte an Herz und Verstand verarmen
lassen, wenn sie sich nicht so schwach am Geiste
fühlten als ihre blödsinnigen Voreltern, so frage es sich:
müsse sie da der Vertrag noch binden, oder müsse nicht
vielmehr der Fürst mit ihnen seine Rolle vertauschen? -
Du siehst, die Politik hat ihre Antinomien wie eine jede
menschliche Wissenschaft, und es gibt in der Welt
nichts Absolutes, nichts Positives, nichts Unbedingtes
als das für sich Bestehende, welches wir aber nicht kennen.
Nur Bedingnisse des Wesentlichen können wir
wahrnehmen; und auch diese modifizieren sich nach
Ort und Zeit. Die Philosophie darf daher jene Einfalt
belächeln, womit mancher die einseitigsten Beziehungen
für unabänderliche Normen hält, da ihn doch ein
Blick auf das, was von jeher geschah und täglich noch geschieht,
so leicht von dem bloß relativen Werte der
Dinge überzeugen kann.
Es ist nun Zeit, noch einen Blick auf Lüttich zu werfen.
Am letzten Tage unseres Aufenthalts genossen wir
die Aussicht von der Zitadelle. Das westliche Ufer
springt hier in einem Winkel vor, und zwischen dieser
Höhe und dem Flusse liegt die Stadt. Die Espen am
Wege, wo wir hinauffuhren, blühten so dicht und grün,
daß man sie. für belaubt halten konnte. Der Umfang der
Zitadelle ist nicht beträchtlich; ihrer Lage hingegen fehlt
es nicht an Festigkeit, der man mit trocknen Gräben
noch zu Hilfe gekommen ist. Die preußischen Truppen
halten jetzt diese Festung sowie die äußeren Barrieren
der Stadt besetzt; in der Stadt selbst aber und an den Toren
stehen die Lütticher Nationaltruppen. Von der
Spitze einer Bastion genossen wir den Anblick der kleinen
Welt von Wohnungen unter unseren Füßen und der
umliegenden Gegend. Die Maas schlängelte sich durch
das Tal, wirklich romantisch schön, hier hellgrün, wo die
Sonne sich darin spiegelte, und dunkelblau in der Ferne
gegen Norden, wo sie sich in vielen Krümmungen verliert
und immer wieder zum Vorschein kommt. An ihren
Ufern sahen wir, so weit das Auge reichte, die Hopfenstangen
in pyramidalische Haufen zusammengestellt.
Der Hopfenbau gibt den Lüttichern Anlaß, ihr gutes
Bier sehr stark mit dieser Pflanze zu würzen; bekanntlich
gehört auch dieses Bier zu den berühmtesten hiesigen
Ausfuhrartikeln. Die Weinberge um die Stadt sind zwar
auswärtig nicht bekannt; denn wer hätte je den Wein
von Lüttich nennen gehört? Allein man kauft den Burgunder
und den Champagner hier sehr wohlfeil, und der
böse Leumund sagt, nicht die Schiffahrt auf der Maas sei
die Ursache dieses billigen Preises, sondern die Lütticher
wüßten aus dem Safte ihrer Trauben jene französischen
Sorten zu brauen. Dies ist indes nicht die einzige
Al«, wie man sich hier die Nähe von Frankreich zunutze
macht. Der hiesige Buchhandel wird ebenfalls mit lauter
Produkten des französischen Geistes getrieben, den die
Nachdruckerpresse viel echter als die Kelter darzustellen
vermag. Die besten Pariser Werke werden hier gleich
nach ihrer Erscheinung neu aufgelegt und in Holland, in
den österreichischen Niederlanden und zum Teil auch
in Deutschland statt der Originalausgaben verkauft. Dieser
Zweig der hiesigen Betriebsamkeit beschäftigt eine
große Anzahl von Handwerkern und einige Künstler,
die ihre reichliche Nahrung bei den“ Verlegern finden.
Was er zur Aufklärung sowohl des Lütticher Staats als
seiner Nachbarn gewirkt hat, liegt am Tage und war
auch wohl vorauszusehen. Doch mit den eigenen Produkten
des Geistes, die hier fabriziert werden, dürfte es
wohl etwas schlechter stehen, wenigstens wenn man den
zum Sprichwort gewordenen hiesigen Almanach zum
Maßstab nehmen darf.
Wir mußten endlich wieder hinuntersteigen in die en