kelt; jenen leisen Lebensatem, der alles durchhaucht,
jene Empfindung, die nur empfunden werden kann, jenen
Blitz, der in einem Augenblick zehn entfernte Ideen
zündet und in die Feuerkette des Gedanken knüpft!
Hier ist der Geist in der Masse gebunden und mit ihr
verkörpert; roh, schwerfällig und einseitig ist der Volkssinn,
aber nicht ohne Originalität und Energie. Das Vertrauen
in eigene Kräfte, die selbstzufriedene Behaglichkeit
gewinnt oft das Ansehen von kalter Unempfindlichkeit;
die langsame, bedächtige Gleichmütigkeit kann
zuweilen in Trägheit und Amphibienzähigkeit ausarten;
das entschiedene Wollen geht über in Starrsinn und die
nüchterne Sparsamkeit in Habsucht und Geiz. Solche
Karikaturen drängen sich durch ihre eckigen Züge dem
Gedächtnis am leichtesten auf, und darüber vergißt
nicht selten der Beobachter, die Tugenden anzumerken,
aus denen sie entspringen.
Diese unvollkommenen Entwürfe sind von den geringeren
und mittleren Volksklassen entlehnt, aus denen
im holländischen Theater der größte Teil der Zuschauer
besteht. Was reich ist und vornehm tut, besucht die französische
oder auch die deutsche Truppe. Eine so unpatriotische
Lauigkeit gegen die vaterländische Bühne hat
die natürlichen Folgen der Vernachlässigung gehabt und
dieses Schauspiel zu einer plumpen Volksbelustigung
herabgewürdigt. Die einzige Entschuldigung, die man
Vorbringen könnte, liegt in dem Dilemma, ob es besser
sei, dem Volke auf die Gefahr seiner Sittlichkeit etwas
mehr ästhetisches Gefühl einzuflößen, oder ihm mit seiner
Unmanierlichkeit seinen fest ausgesprochenen Charakter
zu lassen. Die ungebildete Sinnlichkeit bedarf jederzeit
eines kräftigen Stachels, womit sie aufgeregt und
gekitzelt werden muß; es gehören in der Tat nicht nur
gesunde, sondern auch dicke Nerven dazu, um das Gebrüll
und Geheul der hiesigen Schauspieler zu ertragen
und so fürchterlich zu beklatschen. In meinem Leben
habe ich nichts Entsetzlicheres als ihre Deklamation gehört.
Deklamation war es vom Anfang bis zum Ende des
Stückes, ohne einen Moment von wahrem Ausdruck der
Empfindung, ohne einen Zug von Natur - und dennoch
war augenscheinlich dieses Geplärr ein Kunstwerk, dessen
Erlernung den Schauspielern unglaubliche Anstrengung
gekostet haben muß, ehe sie ihre brutale Vollkommenheit
darin erlangten. In der Sprache liegt wenigstens
eine Veranlassung, wiewohl gewiß keine Rechtfertigung
dieser beleidigenden Art des dramatischen Vortrages;
die häufigen, stets wiederkehrenden Vokale und Doppellaute
(a, aa, ae, ai, o, au, oo, ou, ow usf.) verursachen
eine Monotonie, welcher man nicht anders abzuhelfen
wußte als vermittelst einer Modulation, die in lauter Dissonanzen
forthüpft; ein Ohr, das Harmonie gewohnt ist,
hat völlig die Empfindung, wie wenn mit der größten
Wut ein Kontrabaß unaufhörlich gestimmt wird. Die Mimik
entsprach genau dieser Deklamation. Wären die holländischen
Schauspieler so ehrlich wie die Kamtschada-
len, die ohne Hehl die Bären für ihre Tanzmeister
erkennen, so würden sie gestehen, daß sie von den
Windmühlen gestikulieren gelernt haben. Ihre Arme waren
unaufhörlich in der Luft, und die Hände flatterten
mit einem krampfhaften Zittern und ausgespreizten Fingern
in einer Diagonallinie vor dem Körper vorbei. Die
Stellung der Herren ließ mich oft besorgen, daß ein heftiges
Bauchgrimmen sie plagte; so bog sich mit eingekniffenem
Unterleib der ganze obere Teil des Körpers
vorwärts, indes die Arme senkrecht, den Schenkeln parallel,
herabhingen. Gerieten sie aber in Affekt, so warfen
sie sich auf den ersten besten, der ihnen nahe stand,
gleichviel von welchem Geschlecht; und hatten sie etwas
zu bitten, so wälzten sie sich im Staube, umfaßten -
nicht die Knie - sondern die Waden und Knöchel und