as Buch aber noch einen weiteren Reiz: Er kann es als
Zeitdokument lesen und seine Neugier darüber befriedigen
wie es damals war: das Reisen, die Zollformalitäten,
die Unterkünfte in den Wirtshäusern, die Sitten und Gebrauche,
die Menschen. Die anschauliche, kräftige Sprache
des Autors erlaubt ihm, sich zu Hause zusammen
mit Georg Förster und etwas Phantasie aufzumachen zu
einer Reise in die Vergangenheit, und bald wird er gewahr
daß es eine Reise in eine der bewegtesten Epochen
der europäischen Geschichte ist.
Aus diesem Grund allein schon hätte Försters Buch
einen Platz in jeder Sammlung bedeutender Reisebeschreibungen
verdient, auch wenn er nicht mit handfesten
Abenteuern aufwarten kann. Ein weiterer, nicht weniger
entscheidender Grund ist natürlich die Bedeutung
des Autors und seines Werkes für die deutsche Litera
tur, insbesondere die Reiseliteratur. Hatte er schon mit
seinem Reisebericht von Kapitän Cooks zweiter Weltumsegelung,
an der er zusammen mit seinem Vater teilgenommen
hatte, auf sich aufmerksam gemacht so festigte
er jetzt seine Stellung als Autor mit den Ansichten
vom Ntederrhein. Wichtige Persönlichkeiten, die das geistige
und literarische Leben seiner Zeit prägten, fanden
Lob und Zustimmung für dieses Buch. Goethe lobte
Försters Bemühen um objektive Darstellung und sprach
auch von dem Vergnügen, das ihm die Lektüre des Werkes
bereitet habe. Schiller, der das 4. Kapitel als Vorabdruck
in seiner Zeitschrift »Thalia« veröffentlichte, legte
Wert auf Försters weitere Mitarbeit. Lichtenberg hielt
die Ansichten für eines der bedeutendsten Werke in deutscher
Sprache. Friedrich Schlegel schließlich urteilte: »Er
verdient um seines Tones eines gepflegten Gesprächs willen den
Kuhm eines Klassikers der deutschen Prosa. Vorbilder fand er
dafür höchstens in England und Frankreich.«
Wie laßt sich diese Begeisterung für Försters Buch
wohl erklären? Einmal durch die Neuartigkeit seines
Reiseberichts, mit der er an einer grundlegenden Entwicklung
dieser Gattung im 18. Jahrhundert beteiligt
war. Für Förster bedeutete das Reisen mehr, als nur
einen bestimmten Zweck, etwa militärischer oder kommerzieller
Art, zu verfolgen, wie dies seit dem Mittelalter
für Reisende selbstverständlich war. Damals waren
vor allem Kaufleute und Kriegsmänner unterwegs, um
neue Märkte und Länder zu erkunden und zu erobern.
Nachdem aber die wichtigsten Entdeckungen abgeschlossen
waren - in der Zeit der Renaissance -, fanden
sich immer mehr Wissenschaftler unter den Weltreisenden.
Zu Neugier und Abenteuerlust gesellte sich nun
häufiger das Interesse an exakten Daten, an der genauen
Erforschung der Erdkugel und ihrer Bewohner.
Für Reisen nach Übersee galt dies bis in Försters Zeit;
als Paradebeispiel für diese wissenschaftliche Orientierung
lassen sich Kapitän Cooks Weltumsegelungen anführen.
Für den Reisenden, der innerhalb der europäischen
Grenzen blieb, gab es schon bald nichts
eigentlich Neues oder Unbekanntes zu entdecken. Dementsprechend
wandelten sich die mit dem Reisen verbundenen
Interessen. Bildung, im weitesten Sinne,
stand nun als Reisezweck an oberster Stelle. So fand seit
dem 16.Jahrhundert die höfische Erziehung junger Adeliger
ihren Abschluß mit der sogenannten Kavalierstour
oder Grand Tour, einer meist mehrjährigen Rundreise,
die den jungen Mann an die verschiedenen europäischen
Fürstenhöfe führte. Der Besuch historischer Sehenswürdigkeiten
war dabei weniger wichtig als gesellschaftliche
Ereignisse, bei denen sich Kontakte knüpfen
ließen.
Ganz andere Ziele verfolgte die sogenannte Gelehrtenreise,
die etwa gleichzeitig in Mode kam. Die gebildeten
Reisenden - meist Angehörige des bürgerlichen