genden Dörfern mehr als zehntausend bewaffnete Bauern
zusammen, um Augenzeugen des neuen Wunders
zu sein. Noch jetzt sehen wir auf allen Straßen von Antwerpen
hohe Mastbäume stehen, mit den drei Farben
der Unabhängigkeit, rot, gelb und schwarz, angestrichen;
von ihrer Spitze wehen Wimpel und Flaggen mit allerlei
geistlichen Devisen und biblischen Sprüchen, und ganz
zuoberst hängt der große, schirmende Freiheitshut. Im
Taumel der Freude über den glücklichen Erfolg der belgischen
Waffen hatten die Antwerper diese Siegeszeichen
errichtet und ausgelassen um sie herumgetanzt; allein
was halfen ihnen ihr Wunderglaube und ihr
sinnbildernder Rausch? Statt des edlen Selbstgefühls,
statt des Bewußtseins angeborner Rechte, womit die
Herzen freier Menschen hoch emporschlagen müssen,
regte sich in ihnen nur blinde Vergötterung ihrer neuen
Regenten; wo andere Völker aus eigenem innerem
Triebe kühn, stolz und freudig riefen: »Es lebe die Nation
!« da lernten sie erst von den Mönchen ihre Losung:
»Es lebe van der Noot!«
Unsern Wunsch, die Zitadelle selbst in Augenschein
zu nehmen, konnte man für dieses Mal nicht befriedigen;
ein Verbot der Stände macht sie jetzt wegen des dahin
geführten Staatsgefangenen van der Mersch den
Fremden unzugänglich. Zwar versprach uns ein hiesiger
Kaufmann, der zugleich eine wichtige Demagogenrolle
spielte, uns den Eingang zu gestatten, wenn wir noch einige
Tage länger bleiben wollten, bis er nämlich die Wache
dort hätte; allein die Befriedigung der bloßen Neugier
war ein so großes Opfer nicht wert. Uns hatte
vielmehr alles, was wir bisher in den Niederlanden gesehen
und gehört, und die Hunderte von politischen Zeitschriften,
die wir hier gelesen hatten, bereits die feste
Überzeugung eingeflößt, daß in dieser gärenden Masse,
statt aller Belehrung für den Menschenforscher, nur
Ekel und Unmut zu gewinnen sei, und wir beneideten
diejenigen nicht, die, um den Kreis ihres Wissens zu erweitern
- mit einem apokalyptischen Ausdruck -, des
Satans Tiefen ergründen mögen. Wenn in irgendeinem
Lande der Geist der Zwietracht ausgebrochen ist, dann
richtet die Vernunft, ohne alles Ansehen der Person,
nach ihren ewig unumstößlichen Gesetzen, auf wessen
Seite Recht und was die gute Sache sei; es darf sie dann
nicht irre machen, daß die erhitzten Parteien gemeiniglich
ein verzerrtes Bild des moralischen Charakters ihrer
Gegner mit ihren Gründen zugleich in ihre Schale werfen.
Auf einem weit größeren Schauplatz, im aufgeklärten
Frankreich selbst, ist dieser schlaue Unterschleif
nicht immer vermeidlich, obwohl auch dort die scheinheilige
Verleumdung, der Meuchelmord des guten Namens,
die allgemeine schwankende Beschuldigung der
Unsittlichkeit und des Unglaubens, die leidenschaftliche
Wehklage über Entweihung der Heiligtümer, Zernich-
tung der Vorrechte, Raub des Eigentums nur von der
einen Seite kommen, die jederzeit den strengen, kaltblütigen
Erörterungen der Vernunft durch diese Wendung
ausgewichen ist. Allein unter den Vorwürfen und Rekri-
minationen* der belgischen Parteien verschwindet sogar
die Frage von Recht. Die augenscheinliche Unfähigkeit
sowohl der Kaiserlich- als der Ständischgesinnten, mit ruhiger
Darlegung der Gründe ihre Sache zu führen, erhellt
aus ihren gegenseitigen, größtenteils bis zur Evidenz
dokumentierten, persönlichen Invektiven* und
zeugt von jenem allgemeinen Greuel der Pfaffenerziehung,
die hier alle Gemüter tief hinunter in den Pfuhl
der Unwissenheit stürzte und in ihnen durch Sündentaxen
alles moralische Gefühl erstickte. Wo Verbrechen
und Laster nur so lange das Gewissen drücken, bis eine
mechanische Büßung und das absolvo te es reingewaschen
haben, da scheinen sie nur schwarz, wenn man sie