ihrer Wohlhabenheit. Wir fanden alle Hände mit der
Verfertigung von grober Leinwand zu Segeltuch, Gezeiten
u. dgl. aus selbstgezogenem Hanf und Flachs beschäftigt.
Dieser Anbau, nebst den darauf beruhenden
Manufakturen und dem reichlichen Ertrage des Getreidebaues,
scheint die Hauptquelle des hiesigen Reichtums
zu sein.
Eine halbe Meile vor Antwerpen verschwanden die
Bäume, Gebüsch und eingezäunten Felder; die Gegend
verwandelte sich in eine weit ausgebreitete »Lande«,
eine kahle Ebene, wo Viehweiden und Wiesen aneinander
grenzten, und an deren Horizont wir ringsum beschattete
Dörfer, in der Mitte aber Antwerpen in seiner
imposanten Größe liegen sahen. Ein Wald von Türmen
und vorzüglich der ungeheure gotische, wie Filigran gearbeitete
Spitzturm der Kathedralkirche ragte hoch empor;
die Zitadelle auf einer kleinen Erhöhung vergrößerte
und verschönerte diesen Anblick, und die
Bewegung auf- und absegelnder Barken auf der Schelde,
die wir zwischen ihren Ufern noch nicht sehen konnten,
hatte etwas Zauberähnliches. Bald erblickten wir ihre ge-
demütigten Gewässer und seufzten von neuem über europäische
Politik und europäisches Völkerrecht. Der
schöne, herrliche Fluß ist, wie die Themse, zum Handel
gleichsam geschaffen; die Flut steigt darin zwanzig Fuß
hoch vor den Mauern der Stadt und verdoppelt alsdann
seine Tiefe. Hier ist er nicht so breit wie der Rhein vor
Mainz; aber er trägt wegen des beträchtlichen Steigens
und Fallens keine Brücke. Etliche Meilen weiter hinab-
wärts breitet er sich aus zu eines Meerbusens Weite. Wir
sahen einen Hafen, wo zweitausend Schiffe Raum finden
würden, mit einigen kleinen Fahrzeugen besetzt. In
wenigen Minuten führte uns ein kleiner Nachen von
dem sogenannten Haupt (oder der Spitze) von Flandern
hinüber in die Stadt.
Antwerpen
Es kostet eben keine große Mühe, in einer Stadt, die
Raum für Zweimalhunderttausend Menschen enthält,
zwischen den übriggebliebenen vierzigtausend Einwohnern
sich hindurchzudrängen; daß bloße Sehen ist es,
was uns am Abend ermüdet auf unser Zimmer zurücktreibt,
wo ich Dir heute noch erzählen will, welche
Schätze der flämischen Kunst in diesen paar Tagen vor
uns die Schau und Musterung haben aushalten müssen.
Was wir gesehen haben, ist nur ein sehr geringer Teil
der in Antwerpen noch vorhandenen Gemälde; alle Kirchen,
Abteien und Klöster, deren es hier mehr als dreißig
gibt, sind über und über mit den Meisterwerken niederländischer
Maler behängt; das weitläufige Rathaus,
die Säle der Bürgerkompanien und die Börse enthalten
manches große und von Kennern gepriesene Werk, und
außerdem zählt man verschiedene erlesene Privatsammlungen
von kleineren Stücken. Wenn die Menge dieser
Kunstgebilde mit ihrem Wert in einem direkten Verhältnis
stünde, so müßten sowohl Maler als Liebhaber der
Malerei nach Antwerpen wie nach Rom wallfahrten und
jahrelang sich an dem Fleiße, der Geschicklichkeit und
der Erfindungskraft der niederländischen Meister weiden;
doch daß es wirklich nur zu selten geschieht, das
setzt die hiesigen Schulen tiefer unter die italienischen
herab, als meine Lobsprüche sie wieder heben können.
Die Malerei umfaßt einen so großen Kreis von Fertigkeiten
und Kenntnissen, daß unter Hunderten, die sich
ihr widmen, kaum einer zu irgendeiner auszeichnenden
Stufe gelangt, und folglich wahre Künstlergröße auf diesem
Wege so schwer zu erringen ist, wie in jener von
Homer und Pindar betretenen Laufbahn. Ob ein Mar