dürfte sich der Maler schmeicheln, wenn er die Himmelfahrt
der Jungfrau schildert, die Phantasie des Zuschauers
befriedigen und bestechen zu können, wofern er
nicht die Vorstellung eines schweren, materiellen Körpers
von Fleisch und Blut so viel als möglich durch die
Illusion des Kolorits zu entfernen suchte?
Den Künstlern kann man es nicht oft genug wiederholen:
daß die treue Nachahmung der Natur keinesweges
der Zweck der Kunst, sondern nur Mittel ist; daß Wahrscheinlichkeit
ihr mehr als Wahrheit gilt, weil ihre
Werke nicht zu den Wesen der Natur gehören, sondern
Schöpfungen des menschlichen Verstandes, Dichtungen
sind; daß die Vollkommenheit dieser Geistesgeburten
desto inniger empfunden wird, je unauflösbarer die Einheit
und je lebendiger die Individualität ihres Ganzen
ist; enalich, daß Schönheit ihr vollendendes äußerliches
Gepräge und zugleich ihre inwohnende Seele bleiben
muß. Vermittelst dieser Bestimmungen erklärt man sich
leicht, warum in echten Kunstwerken die Darstellung
zuweilen so treu und wahr sein kann wie in bloßen Kopien
nach der Natur; da hingegen umgekehrt der genielose
Fleiß, auch wenn er täuschend genau darstellt, auf
den Namen der Kunst im höheren Verstände keinen
Anspruch machen darf. So würde es ebenfalls die Scheidung
des Wesentlichen in der Kunst von dem Zufälligen
sehr erleichtern, wenn man erwöge, daß sogar die rohesten
Völker, die entweder einen höchst unvollkommenen
oder noch gar keinen Trieb zu materiellen Kunstbildern
äußern, bereits wahre Poesien besitzen, welche,
verglichen mit den geglätteten und künstlich ineinandergefügten
dichterischen Produkten der verfeinerten Kultur,
diesen oft den Preis der Gedankenfülle, der Stärke
und Wahrheit des Gefühls, der Zartheit und Schönheit
der Bilder abgewinnen. Man begreift, wie diese Eigenschaften
das einfache Hirtenlied, die Klagen und das
Frohlocken der Liebe, den wilden Schlachtgesang, das
Skolion* beim Freudenmahle und den rauschenden Götterhymnus
eines Halbwilden bezeichnen können; denn
sie gehen aus der schöpferischen Energie des Menschen
unmittelbar hervor und sind unabhängig von dem Vehikel
ihrer Mitteilung, der mehr oder minder gebildeten
Sprache. Spröder ist der tote, körperliche Stoff, welchen
der bildende Künstler außer sich selbst suchen muß, um
seine Einbildungskraft daran zu offenbaren. Statt des
konventionellen Zeichens, des leicht hervorzubringenden
Tones, muß er die Sache selbst, die er sich denkt,
den Sinnen so darzustellen suchen, wie sie sich im
Raum gebärdet, und hiermit werden alle Einschränkungen
seiner Kunst offenbar. Die mechanischen Vorteile
in der Behandlung des rohen Materials, die aus dem inneren
Sinne zur äußern Wirklichkeit zu bringende richtige
Anschauung der Formen, die Erfahrung, welche den
Künstler lehren muß, seinen Tiefblick durch die Veränderungen
der äußern Gestalt bis in die Modifikationen
der Empfindung zu senken und jene sinnlichen Erscheinungen
als Zeichen dieser inneren nachzubilden, dies
alles fordert einen ungeheuren Aufwand von Zeit und
vorbereitender Anstrengung, wovon der Dichter, der
sich selbst Organ ist, nichts zu wissen braucht. Je schwerer
also die Darstellung und je längere Zeit sie erfordert,
desto strenger bindet sie den Künstler an Einfalt und
Einheit; je einfacher aber irgendeine Geburt des Geistes,
desto mächtiger muß sie durch die Erhabenheit
und Größe des Gedankens auf den Schauenden wirken.
Daher ist die lebendige Ruhe eines Gottes der erhabenste
Gegenstand des Meißels, und ein Augenblick, wo die
Regungen der menschlichen Seele schön hervorschimmern
durch ihre körperliche Hülle, ist vor allen des Pinsels
großer Meister würdig.
Wenn ich mit diesen Vorbegriffen die Werke der nie