In Bacharach und Kaub, wo wir ausstiegen und auf
einer bedeckten Galerie längs der ganzen Stadtmauer
hin an einer Reihe ärmlicher, verfallener Wohnungen
fortwanderten, vermehrten die Untätigkeit und die Armut
der Einwohner das Widrige jenes Eindrucks. Wir lächelten,
als zu Bacharach ein Invalide sich an unsere
Jacht rudern ließ, um auf diese Manier zu betteln; es war
aber entweder noch lächerlicher oder, wenn man eben in
einer ernsthaften Stimmung ist, empörender, daß zu
St. Goar ein Armenvogt, noch ehe wir ausstiegen, mit
einer Sparbüchse an das Schiff trat und sie uns hinhielt,
wobei er uns benachrichtigte, das Straßenbetteln sei zugunsten
der Reisenden von Obrigkeits wegen verboten.
Seltsam, daß dieser privilegierte Bettler hier die Vorüberschiffenden,
die nicht einmal aussteigen wollen, belästigen
darf, damit sie nicht auf den möglichen Fall des
Aussteigens beunruhigt werden!
In diesem engeren, öderen Teile des Rheintals
herrscht ein auffallender Mangel an Industrie. Der Boden
ist den Einwohnern allerdings nicht günstig, da er
sie auf den Anbau eines einzigen, noch dazu ungewissen
Produktes, wie den Wein, einschränkt. Aber auch in
ergiebigeren Gegenden bleibt der Weinbauer ein ärgerliches
Beispiel von Indolenz und daraus entspringender
Verderbtheit des moralischen Charakters. Der Weinbau
beschäftigt ihn nur wenige Tage im Jahr auf eine anstrengende
Art; bei dem Jäten, dem Beschneiden der Reben
usw. gewöhnt er sich an den Müßiggang, und innerhalb
seiner Wände treibt er selten ein Gewerbe, welches
ihm ein sicheres Brot gewähren könnte. Sechs Jahre behilft
er sich kümmerlich oder antizipiert den Kaufpreis
der endlich zu hoffenden glücklichen Weinlese, die gewöhnlich
doch alle sieben oder acht Jahre einmal zu geraten
pflegt; und ist nun der Wein endlich trinkbar und
in Menge vorhanden, so schwelgt er eine Zeitlang von
dem Gewinne, der ihm nach Abzug der erhaltenen Vorschüsse
übrigbleibt, und ist im folgenden Jahr ein Bettler
wie vorher. Ich weiß, es gibt einen Gesichtspunkt, in
welchem man diese Lebensart verhältnismäßig glücklich
nennen kann. Wenngleich der Weinbauer nichts erübrigt,
so lebt er doch sorglos, in Hoffnung auf das gute
Jahr, welches ihm immer wieder aufhilft. Allein, wenn
man so räsoniert, bringt man die Herabwürdigung der
Sittlichkeit dieses Bauern nicht in Rechnung, die eine
unausbleibliche Folge seiner unsichern Subsistenz ist.
Der Landeigentümer zieht freilich einen in die Augen
fallenden Gewinn vom Weinbau: denn weil er nicht aus
Mangel gezwungen ist, seine Weine frisch von der Kelter
zu veräußern, so hat er den Vorteil, daß sich auch das
Erzeugnis der schlechtesten Jahre auf dem Fasse in die
Länge veredelt und ihm seinen ansehnlichen Gewinn
herausbringen hilft. Man rechnet, daß die guten Weinländer
sich, ein Jahr ins andre gerechnet, zu sieben bis
acht Prozent verzinsen, des Mißwachses unbeschadet.
Es wäre nun noch die Frage übrig, ob dieser Gewinn der
Gutsbesitzer den Staat für die hingeopferte Moralität
seiner Glieder hinlänglich entschädigen kann?
Der ungewöhnlich niedrige Stand des Rheinwassers
war schuld, daß unsere Jacht nur langsam hinunterfuhr.
Erst um acht Uhr abends erreichten wir Boppard beim
Mondlicht, das den ganzen Gebirgskessel angenehm erleuchtete.
Wir eilten dem besten Wirtshause zu: allein
hier fanden wir alle Zimmer besetzt. In einem zweiten
sahen wir alle Fenster eingeworfen; von dem dritten
schreckte uns die Schilderung der darin herrschenden
Unreinlichkeit zurück. Also mußten wir auf gut Glück
im vierten einkehren und uns an einer kalten Kammer
und einem gemeinschaftlichen Lager genügen lassen.
Hier wärmen wir uns jetzt beim Schreiben mit Deinem
russischen Tee und preisen die gütige Vorsorge, die uns