Weisheit berufen, denn sie kann sich vor Widerlegungen
wenigstens so lange sicherstellen, als man nicht Erfahrung
gegen Erfahrung aufzuweisen hat. So viel ist indessen
immer an der Sache, daß, wo alle übrigen
Umstände völlig gleich sind und nun doch eine Verschiedenheit
im Erzeugnis bemerklich wird, die Ursache
davon in der Beschaffenheit des Bodens gesucht werden
darf. Bekanntlich entspringen auf jenem östlichen Gebirge
mehrere, zum Teil heiße Quellen, von denen einige
Schwefel, andere Vitriolsäure und Eisen enthalten.
Man hat mich auch versichern wollen, daß ein Kohlenflöz
sich unter dem Hügel von Hochheim erstrecke und
dem dort wachsenden vortrefflichen Weine der Domdekanei
seinen berühmten edlen Geschmack und sein
Feuer gebe. Ich erinnere mich hierbei, daß der Schnee
am Gehänge dieses Rebenhügels gegen Mainz eher als
vor dem entgegengesetzten Tore schmilzt. Der Unterschied
war mir und ändern oft in wenigen hundert
Schritten so auffallend, daß sogar die Lufttemperatur,
unter völlig gleichen Umständen, dem Gefühle merklich
verschieden vorkam. Sowie man das abendliche Tor von
Hochheim verläßt, um nach Mainz zu gehen, glaubt man
in einem milderen Klima zu sein. Ich würde freilich diesen
Unterschied dem Winde zuschreiben, der auf der
Ebene von dem Altkönig her frei und ohne Widerstand
hinstürmen und die Kälte der oberen Luftregion herunterführen
oder besser, die zum Gefrieren erforderliche
schnelle Verdünstung befördern kann. Allein, andere
schreiben die wärmere Temperatur des Weinberges den
darunterliegenden Kohlen zu. Wahr ist es, eine Kohle,
wie überhaupt jeder Brennstoff, fühlt sich unter einerlei
Umständen viel wärmer an als ein Stück Kalkstein oder
Schiefer; und dieses Gefühl beweiset, daß wirklich aus
der Kohle in den berührenden Körper mehr Wärmeteilchen
übergehen; nicht minder gewiß ist es auch, daß die
brennbaren Mineralien bei einer gewissen Lufttemperatur
unaufhörlich Wärme ausströmen. Wie, wenn der
Weinstock besonders vor ändern Gewächsen organisiert
wäre, von dieser Ausdünstung begünstigt zu werden?
Das Beste zur Vergeistigung des Traubensaftes tut zwar
die Sonne: ihr Licht, das von den schwammigen Früchten
eingesogen und in ihrer Flüssigkeit fixiert wird,
würzt und versüßt die Beere. Daher bleiben auch unsere
Weine gegen die griechischen, italienischen, spanischen,
ja sogar gegen die ungarischen und französischen so
herbe, daß sie bei den Ausländern und dem Frauenzimmer
wenig Beifall finden. -
Für die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb
Bingen erhält der Landschaftkenner keine Entschädigung.
Die Hügel zu beiden Seiten haben nicht jene
stolze, imposante Höhe, die den Beobachter mit einem
mächtigen Eindruck verstummen heißt; ihre Einförmigkeit
ermüdet endlich, und wenngleich die Spuren von
künstlichem Anbau an ihrem jähen Gehänge zuweilen
einen verwegenen Fleiß verraten, so erwecken sie doch
immer auch die Vorstellung von kindischer Kleinfügig-
keit. Das Gemäuer verfallener Ritterfesten ist eine
prachtvolle Verzierung dieser Szene; allein es liegt im
Geschmack ihrer Bauart eine gewisse Ähnlichkeit mit
den verwitterten Fels spitzen, wobei man den so unentbehrlichen
Kontrast der Formen sehr vermißt. Nicht auf
dem breiten Rücken eines mit heiligen Eichen oder Buchen
umschatteten Berges, am jähen Sturz, der über eine
Tiefe voll wallender Saaten und friedlicher Dörfer den
Blick bis in die blaue Ferne des hüglichten Horizonts
hinweggleiten läßt - nein, im engen Felstal, von höheren
Bergrücken umschlossen und, wie ein Schwalbennest,
zwischen ein paar schroffen Spitzen klebend,
ängstlich, hängt hier so mancher zertrümmerte, verlassene
Wohnsitz der adeligen Räuber, die einst der