Amsterdam
In einer Nacht hat sich unser Schauplatz so sehr verändert,
daß nichts gegenwärtig Vorhandenes eine Spur des
gestrigen in unserm Gedächtnis weckt. Wir leben in
einer ändern Welt, mit Menschen einer ändern Art. Wir
haben zwei Schauspiele gesehen, die ich Dir zu schildern
wünschte, um deiner Einbildungskraft den Stoff zu
einigen Vorstellungen von Amsterdam zu liefern. So
spät es ist, will ich es noch diesen Abend versuchen; die
Gespenster des Gesehenen sind noch wach in meinem
Kopf und gönnen mir keine Ruhe.
Wir standen auf der Werft der Admiralität; uns zur
Seite stand das prächtige Arsenal, ein Quadrat von mehr
als zweihundert Fuß, auf achtzehntausend Pfählen ruhend
und ganz mit Wasser umflossen. Schon waren wir
durch seine drei Stockwerke gestiegen und hatten die
aufgespeicherten Vorräte für ganze Flotten gesehen. In
bewundernswürdiger Ordnung lagen hier, mit den Zeichen
jedes besondern Kriegsschiffs, in vielen Kammern
die Ankertaue und kleineren Seile, die Schiffblöcke und
Segel, das grobe Geschütz mit seinen Munitionen, die
Flinten, Pistolen und kurzen Waffen, die Laternen,
Kompasse, Flaggen, mit einem Worte, alles bis auf die geringsten
Bedürfnisse der Ausrüstung. Vor uns breitete
sich die unermeßliche Wasserfläche des Hafens aus, und
in dämmernder Ferne blinkte der Sand des flachen jenseitigen
Ufers. Weit hinabwärts zur Linken hob sich der
Wald von vielen tausend Mastbäumen der Kauffahrer;
die Sonnenstrahlen spielten auf ihrem glänzenden Firnis.
Am Ufer und nah und fern auf der Reede lagen, teils
abgetakelt und ohne Masten, teils im stolzesten Aufputz
mit der Flagge, die im Winde flatterte, und dem langen,
schmalen Wimpel am obersten Gipfel der Stengen, die
größeren und kleineren Schiffe der holländischen Seemacht.
Wir ehrten das Bewußtsein, womit uns der Hafenmeister
die schwimmenden Schlösser zeigte und mit
Namen nannte, deren Donner noch zuletzt so rühmlich
für Holland auf Doggersbank* erscholl. Mit ihm bestiegen
wir den »Moritz« von vierundsiebzig Kanonen, ein
neues Schiff, das schon im Wasser lag, und staunend
durchsuchten wir alle Räume, wandelten umher auf den
Verdecken und betrachteten den Wunderbau dieser ungeheuren
Maschine. Zur Rechten lagen die Schiffe der
Ostindischen Kompanie bis nach der Insel Osterburg,
wo ihre Werften sind. Die ankommenden und auslaufenden
Fahrzeuge samt den kleinen rudernden Booten
belebten die Szene. Um uns her auf der geräumigen
Werft feierten die Tausende von Kattenburgern von
ihrer Arbeit; in mehreren großen und kleinen Gruppen
ging und stand die zehntausendköpfige Menge von Zuschauern:
ein buntes Gewühl von See- und Landoffizieren
in ihren Uniformen, von Zimmerleuten in ihrem
schmutzigen Schifferkostüm, von müßigen, umhertobenden
Knaben, von ehrsamen Amsterdamer Bürgern
und Frauen, von Fremden endlich, die aus allen Ländern
hier Zusammentreffen und einander oft so sehr überraschen,
wie uns hier eben jetzt die Erscheinung unseres
R. aus Göttingen.
Endlich naht der entscheidende Augenblick heran.
Man stellt uns vorn an den Kiel der neuen Fregatte, so
nah daran, daß der geteerte Bauch über unseren Köpfen
schwebt. Völlig sicher stehen wir da und bewundern
diese Kunst der Menschen, die jeden Gedanken von Gefahr
entfernt. Könnte das Schiff umwerfen, statt abzulaufen,
so lägen hier Hunderte von uns zerschellt. Jetzt werden
die Blöcke weggeschlagen, worauf es noch ruht;
jetzt treibt man hinten einen Keil unter, um es dort hö