der breiten Heerstraße der Gewohnheit fort und verrichteten
willig und mechanisch ihr Tagewerk, ohne sich um
die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu
kümmern. Ihr Vertrauen in die weise Führung der hohem
Stände ging so weit, daß verschiedene brabantische
Städte von ihrem Recht, Abgeordnete zur Versammlung
zu schicken, keinen Gebrauch machten und der dritte
Stand folglich zuletzt wenig mehr als dem Namen nach
existierte. Die Geistlichkeit hatte beinahe in allen Provinzen,
als erster und zahlreichster Landstand, ein entschiedenes
Übergewicht. Ihre treue Ergebenheit gegen
den Hof beruhte auf einem gemeinschaftlichen Interesse.
Die süße Herrschaft über die Gemüter, in deren
Besitze man sie nicht störte, war immer einige dem Landesherrn
gezollte Millionen wert.
Der Kaiser hatte seine Niederlande selbst besucht und
mit seinem Kennerblicke die tief eingewurzelten Mißbräuche
ergründet, die sich dem größeren Flor derselben
widersetzten. Er fand das Volk ungebildet, in Aberglauben
versunken, träge und ungelehrig im Gebrauche seiner
Geisteskräfte; übrigens aber mit physischen Vorzügen
ausgestattet, stark und arbeitsam, und geneigt zum
frohen, groben Sinnengenusse. Dem angeborenen
Phlegma war Gutmütigkeit zugesellt, eine glückliche Eigenschaft,
durch die sich auf den Charakter noch wirken
ließ, gleichsam wie ein schwerer Körper Beweglichkeit
bekommt, wenn man ihn mit einem leichteren verbindet.
Allein die bisherigen Erzieher dieses Volkes bedurften
selbst einer sorgfältigeren Bildung. Mit dem deutschen
und französischen Klerus war der belgische nicht
fortgeschritten; er war um mehr als ein Jahrhundert zurück
und der Abstich auffallend zwischen seinen auf die
Blindheit des Volkes berechneten Anmaßungen und der
Lichtmasse in dem übrigen Europa, vor welcher kein erkünstelter
oder unechter Heiligenschein bestehen kann.
Joseph II. (1741-1790)