Brüssel
Niemand soll mir wieder mit dem elenden Gemeinplätze
kommen, den jetzt so mancher Apostel des Despotismus
umherträgt und den ich schon zum Ekel von
Nachbetern wiederholen hörte: daß die Aufklärung
schuld an politischen Revolutionen sei. Hier in Brüssel
sollen sie mir ihren Satz einmal anwenden! Ja, wahrlich,
vollkommner war keine Unwissenheit, dicker keine
Finsternis, bleierner drückte nie das Joch des Glaubens
die Vernunft in den Staub. Hier hat der Fanatismus Aufruhr
gestiftet; Aberglaube, Dummheit und erschlaffte
Denkkraft sind seine Werkzeuge gewesen.
Was Revolutionen im Staat hervorbringt, ist gänzlich
unabhängig von dem jeweiligen Grade der Einsicht des
revoltierenden Volkes. Wenn seine Leidenschaften aufgeregt
sind (das geschehe nun durch den unerträglichen
Druck der Tyrannei oder durch die Aufwieglungskünste
boshafter und herrschsüchtiger Menschen), dann ist die
Revolution zur Reife gediehen; nur mit dem Unterschiede,
daß jene besteht, weil sie einen wesentlichen
Grund, eine materielle Veranlassung hat, diese hingegen
wieder in ihr Nichts zurücksinkt, sobald die Täuschung
aufhört.
Die Kirchen und Klöster in Brüssel sind zu allen Stunden
des Tages mit Betenden angefüllt - und an den Toren
der Tempel lauert der Geist der Empörung ihnen
auf. Hier läßt der Kongreß seine Mandate und Verordnungen
anschlagen; hier lesen wir die täglich herauskommenden
Aufforderungen an das Volk, gegen die sogenannten
Verräter des Vaterlandes, nämlich gegen die
Demokraten, mit Feuer und Schwert zu wüten; hier lästert
die Zunge der Verleumdung den braven van der
Mersch; hier stößt man Verwünschungen aus gegen die
holländischen Flüchtlinge, denen man die Freiheitsliebe
zum Verbrechen macht; hier erdreistet man sich sogar,
den heftigsten Ausbrüchen der Wut, womit die aristokratische
Partei die andere verfolgt, den Anstrich frommer
Handlungen zu geben und die rechtgläubigen Einwohner
im Namen ihrer Religionspflichten dazu
anzuspornen! Unverkennbar ist der Geist, der in diesen
Anschlagszetteln spukt; es gibt nur eine Klasse von
Menschen, die auf solche Weise Menschliches und Göttliches
untereinander wirft, um die blöden Augen der
Menge zu blenden und ihre schwache Vernunft durch
kasuistische Zirkelschlüsse zu hintergehen.
Das Siegel eines weit ärgeren Despotismus, als derjenige
war, dem die Niederländer entronnen sind, klebt
noch an ihrer Stirn, und ein Jahrhundert wird es nicht
abwaschen können. Mit ihrer neuerlangten Freiheit
wußten sie nichts anzufangen; sie war ihnen lästig; sie
können ohne Beherrscher nicht bestehen. »Nous ne voulons
pas être libres!« - »Wir wollen nicht frei sein!« antworten
sie uns, wenn wir sie um ihrer Freiheit willen
glücklich preisen, ohne doch vermögend zu sein, uns
nur etwas, das einem Grunde ähnlich gesehen hätte, zur
Rechtfertigung dieses im Munde der Empörer so paradoxen
Satzes vorzubringen. »Nous ne voulons pas être
libres!« Schon der Klang dieser Worte hat etwas so Unnatürliches,
daß nur die lange Gewohnheit, nicht frei zu
sein, die Möglichkeit erklärt, wie man seinen tückischen
Führern so etwas nachsprechen könne. »Nous ne voulons
pas être libres!« Arme, betrogene Brabanter! das
sagt ihr ohne Bedenken hin, und indem ihr noch mit
Entzücken euren Sieg über die weltliche Tyrannei erzählt,
fühlt ihr nicht, wessen Sklaven ihr wart und noch
seid? Schon recht! ihr könnt auch nicht mehr frei sein;
ihr seid geborene Knechte: einem Herrn entlauft ihr;