Die Zeiten, sagt man, sind vorbei, da der Scholastiker
fragen durfte, was Aristoteles von diesem oder jenem
Geheimnisse der katholischen Lehre, zum Beispiel von
der Jungfrauschaft der Mutter Gottes, gehalten habe? Ich
hingegen behaupte, daß diese Zeiten nie ganz aufhören
können, solange es kein Mittel gibt, den Menschen Ehrfurcht
gegen das Edelste, was ihrer Natur zum Grunde
liegt, gegen ihre eigene Vernunft, einzuflößen. Wo diese
Ehrfurcht fehlt, da wird man sich immerfort Ungereimtheiten
erlauben, da wird man, sobald politische Verhältnisse
es gestatten, intolerant sein und die Gewissen mit
Zwang beherrschen wollen. Wenn nicht diese verkehrte
Herrschbegierde die Triebfeder der widersprechendsten
Äußerungen wäre, so müßte man sich ja wundern, wie
es nur möglich ist, daß irgendeiner Geistlichkeit nicht
alle philosophischen Lehrbücher höchst gleichgültig
sein sollten. Die Philosophie muß sich schlechterdings
nur auf das Begreifliche, auf das Erweisliche einschränken;
da hingegen die Theologie unbegreifliche Mysterien
lehrt, welche nicht demonstriert, sondern geglaubt
werden müssen, vermittelst eines Glaubens, der die unbedingte
Gabe der Gottheit ist. Soll man nun doch das
Unbegreifliche demonstrieren, das heißt begreiflich machen?
Einen platteren Widerspruch gibt es nicht.
Wie mag es aber wohl kommen, daß man heutiges Tages
zu solchen Widersprüchen seine Zuflucht nimmt?
Soviel ich sehe, liegt eben darin ein auffallender Beweis
der Schwäche, deren sich die Herren bewußt sein müssen.
Wenn man versinken will, hascht man begierig auch
nach dem Strohhalm, der doch niemanden retten kann.
Ehedem verfuhren sowohl die weltlichen als die kirchlichen
Despoten ganz anders. Sie ließen es ihre geringste
Sorge sein, die Vernunft mit ihren Aussprüchen in Harmonie
zu bringen, brauchten Gewalt, wo sie ihnen in
die Hände fiel, und erstickten dann die Keime des Denkens.
Aber hier und dort ist ihnen ein Samenkörnchen
entgangen und zu einem schönen Baume aufgesproßt,
unter dessen Schatten sich die Völker schon sammeln
Mit Schrecken und Abscheu bebt man bereits vor jedem
zurück, der unsere freie Willkür, es sei worin es wolle,
beschränken möchte, und am allermeisten vor dem, der
ein Interesse hat, etwas Unbegreifliches als positive
Wahrheit anerkannt zu wissen. Ein Mensch kann dem
ändern nicht gebieten, was er tun soll, als insofern dieser
es für gut findet, sich befehlen zu lassen; wie viel widerrechtlicher
also, wenn jemand gebieten will, was man
glauben soll, und denen, die das Gebotene nicht glauben
können oder nicht glauben wollen, die Rechte schmälert,
die ein Mensch dem ändern nicht nehmen darf, die
ein Bürger dem ändern garantiert! In dieser Lage der Sachen
ist es so befremdend nicht, daß man jetzt einen letzten
Versuch macht, ob man nicht noch die angehenden
Denker selbst durch ein Gewebe von betrüglichen
Schlüssen hintergehen und einfangen könne. Allein die
Vernunft rächt sich an denen, die sie so lange verachteten
und verfolgten: und wenn jemand mit der Demonstrationsmethode,
die im vorigen Jahrhundert noch gut
genug war, jetzt auftritt, so nimmt er sich ungefähr so
aus wie ein Kind, das einen Erwachsenen mit eben dem
Popanz schrecken will, vor welchem seine Spielkameraden
liefen.
Das sicherste Zeichen eines zerrütteten, schlecht eingerichteten,
kranken Staats hat man immer daran, wenn
er eine große Menge Müßiggänger nährt. Der Fleißige,
der die Früchte seines Schweißes mit diesen Raubbienen
teilen muß, kann sich endlich des Gedankens nicht
erwehren, daß man die unbilligste Forderung an ihn tut,
indem man seiner Redlichkeit die Strafe auferlegt, die
eigentlich strafwürdigen Faulenzer zu füttern. Die natürliche,
unvermeidliche Folge dieser Reflexion ist,