ich hier nun schon so oft und mit einem so unbefangenen
Sinn betrachtete, was ich in Potsdam, Kassel, Dresden,
Wien und Mannheim von Werken des niederländischen
Pinsels sah, war fast durchgehends von der Art,
daß ich in dem vortrefflichen Handarbeiter den Dichter,
in dem Bildner des Körperlichen den Seelenschöpfer
vermißte. Denkt man sich den edlen Zweck der Kunst,
die Ideen des Schönen, Erhabenen, Vollkommenen lebendig
in uns hervorzurufen, so geht man oft an den ge-
priesensten Gemälden kalt und ungerührt vorüber, weil
sie nichts von jener reinen, geistigen Phantasie verraten,
die das Gefühl in Anspruch nimmt. Freilich ist dies
nicht die Stimmung, womit man eine Galerie von Gemälden
besuchen sollte. Hier sind einzelne Verdienste
schon hinreichende Empfehlungen, um einem Gemälde
einen Platz zu verschaffen. Farbengebung, Beleuchtung,
Gruppierung, kurz ein jeder Beweis von einer gewissen
Energie im Darstellen hat hier Ansprüche auf Beifall, ja
sogar auf Bewunderung. Ist es indes eine Sünde wider
die Kunst, bei dieser Zerstückelung des Verdienstes
nichts zu empfinden, so will ich mich nur schuldig bekennen.
In meinen Augen bleiben Götter, denen gerade
das Göttliche, Helden, denen Geistesgröße, Grazien, denen
Anmut fehlt, allemal verunglückte Werke des
Künstlers, er bezeichne sie noch so gelehrt durch Attribute,
zeige dabei Studium der Natur und Antike und koloriere
das Fleisch nach dem Leben. Irre ich hier, so irre
ich mit Horaz, wo er sagt:
infelix operis summa, quia ponere totum
nesciet.
Verunglückt ist das Werk des Künstlers, der
zwar alles, doch nichts Ganzes machen kann.
Ich fordre von dem Kunstwerke, das mir gefallen soll,
wahrlich keine absolute Vollkommenheit, allein wesentliche
Mängel oder Gebrechen darf es wenigstens nicht
haben. Laß mich immer wieder auf meinen Lieblingssatz
zurückkommen, der sich mit meinem ganzen Wesen so
ganz identifiziert: der Künstler, der nur für Bewunderung
arbeitete, ist kaum noch Bewunderung wert. War
hingegen seine Seele so reich, sein Trieb zum Bilden so
kräftig, daß jener Beweggrund gänzlich wegfiel oder wenigstens
ihn nie in seiner Unbefangenheit störte, daß er
nur im Gefühl seiner überschwenglichen Schöpferkraft
malte, so ist mir nicht bange, daß seine Werke nicht Abdrücke
seiner selbst, mit allen Kennzeichen des Genius
begabt, sein sollten. Auch hier gibt es indes noch Stufen
und Schattierungen. Die erste Organisation des Künstlers,
seine Erziehung und Ausbildung von der Wiege an,
sein Zeitalter, sein Wirkungskreis und sein Wohnort, alles
arbeitet mit vereinten Kräften, eine eigentümliche
Stimmung in ihm hervorzubringen, auf eine bestimmte
und beschränkte Art Ideenverbindungen in seine Seele
zu legen und in seiner Phantasie herrschend zu machen,
die in der Folge auf den Zuschauer eine ganz andere als
die gewünschte Wirkung tun. Der Kanon des Schönen,
den keine Vorschrift mitteilt, könnte vielleicht einem
kühnen Geiste voll Künstlerfeuers fremd geblieben sein.
Die rohere, gemeine Natur um ihn her könnte ihn gehindert
haben, seinen Blick bis zum Ideal zu erheben.
Aberglaube, Fanatismus, Geschmack des Jahrhunderts
könnten ihn in der Wahl seiner Gegenstände mißleitet
haben, sogar ihn haben scheitern lassen an der gefährlichsten
Klippe für die Kunst, an dem Wunsche nämlich,
mit dem Angenehmen das Nützliche als letzten Zweck
zu verbinden, dieser fälschlich sogenannten Sittlichkeit
der Kunst, welche die Wahrheit der Natur verleugnet
und, indem sie belehren will, hintergeht. Der herrlichste