moralischen Kräfte, von dem Mangel an Geist und an Ausbildung
im großen Haufen seiner Glieder. Nichts kann
daher den traurigen Zustand der Gemütskräfte in den
Niederlanden anschaulicher und nachdrücklicher schildern,
als dieses so lebhaft und dringend geäußerte Bedürfnis
des jesuitischen Unterrichts. Man möchte hier
wirklich mit einem biblischen Ausdruck ausrufen:
»Wenn das Licht, das in euch ist, finster ist, wie groß
wird denn die Finsternis sein!«
Hier habe ich noch einen ähnlichen Fang getan. Ein
gewisser Abbé Ghesquiére hat eben eine »Notion succincte
de l’ancienne constitution des Provinces Belgi-
ques« drucken lassen, die ich Dir doch bekannt machen
muß. Er ist in der Tat einzig, dieser Abbé, denn er findet
die Vorrechte der niederländischen Klerisei ganz klar im
»Tacitus« aufgezeichnet. Tacitus sagt im siebenten Kapitel
seines Aufsatzes »Über die Sitten der Deutschen«,
daß ihre Könige nicht unumschränkte Herrscher waren
(nec regibus infinita aut libéra potestas«. Also hatten die
Belgier damals einen geistlichen, adeligen und dritten
Stand, deren Repräsentanten die königliche Macht in
Schranken hielten! Wer wollte die Bündigkeit dieses
Schlusses antasten? Wer wollte noch in Zweifel ziehen,
was ein gelehrtes Mitglied der seeländischen Akademie
vermöge seiner seltenen Gewandtheit in der Auslegungskunst
ergründet hat? Den Unglauben hat er indes
vorausgesehen und tritt mit einem zweiten Zitat auf,
hinter welchem er unüberwindlich ist. Nicht erst im Tacitus,
im Julius Cäsar steht schon der Beweis, daß die
Staaten von Brabant die rechtmäßigen Souveräns dieses
Landes sind. »Der König der Eburonen, Ambiorix«, sagt
der erhabene Überwinder des Pompejus, »hatte nicht
mehr Anteil an den öffentlichen Entschlüssen und Unternehmungen,
als die Menge des Volkes.« (Suaque ejus-
modi esse imperia, ut non minus haberet in se juris multitudo,
quam ipse in multitudinem.) Die Eburonen
waren bekanntlich Belgier; die Belgier haben jetzt Bischöfe
und Prälaten; also hatten die Eburonen einen Klerus,
der zugleich erster Landstand war! Das ist klar wie
die Sonne! Und wer es nicht glaubt, der sei Anathema zu
Löwen und Douai und überall, wo man Beweise führt
wie der fromme Bollandus.
Wenn es wahr wäre, daß die Bataven und Eburonen
bereits vor Christi Geburt so christliche Zuchtmeister
hatten, so müßte man aufhören, sich über ihren treuherzigen
Glauben zu wundern, und vielmehr erstaunen,
daß ihnen doch noch mancher Zug von Menschlichkeit
geblieben ist. Im Ernst, je mehr ich die Brabanter kennenlerne,
desto mehr söhne ich mich auch mit ihrer indolenten
Gutmütigkeit aus. Was Gutes an ihnen ist,
könnte man mit dem Dichter sagen, ist ihnen eigen; ihre
Fehler und Mängel fallen ihren Erziehern zur Last. Das
Volk ist bescheiden, gefällig, höflich und selbst dann,
wenn es gereizt wird, in seinen leidenschaftlichen Ausbrüchen
noch menschlich und schonend. Die Revolution
hat diesen Charakter in vielfältigen Beispielen bewährt.
Als die Generalgouverneurs flohen, der Minister
und der Feldherr des Kaisers durch bewaffnete Bürger
vertrieben wurden, blieben ihre Häuser unberührt; niemand
versuchte, niemand drohte sie zu zerstören oder
auch nur auszuplündern. So oft man es auch dahin zu
bringen wußte, daß die niedrigsten Volksklassen in der
furchtbaren Gestalt von Aufrührern erschienen und mit
allgemeiner Zerstörung drohten, so selten sind gleichwohl
die Fälle, wo ihrer Wut ein Mensch geopfert ward.
In dem Aufruhr vom 16. März dieses Jahres erbrach der
Pöbel fünf Häuser von der demokratischen Partei und
plünderte sie; dies war das einzige Beispiel von Zügellosigkeit
seit dem Anfänge der belgischen Unruhen. Allein
dies veranstaltete ein geringer Haufen von etwa dreihun