wenn man sich zu schwach fühlt, dem Übel abzuhelfen,
eine tödliche Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste,
gegen die Verfassung selbst. Welcher Staat kann public
spirit von seinen Bürgern erwarten, wenn er sie mißhandelt?
Es ist gleichviel, ob ein Despot oder eine Horde
von Bettlern die Freiheit des arbeitsamen, tugendhaften
Bürgers vernichtet; diese Ungerechtigkeit muß der Staat
allemal büßen. Aus gleichgültigen, kalten Mitgliedern
des Ganzen werden die Hintangesetzten und Gedrückten
bald auch zu moralisch schlechteren Menschen. Das
Beispiel steckt an, und gegen die Übermacht gewissenloser
Müßiggänger scheinen Betrug und List und Ränke
ihnen bald die erlaubteste und sicherste Gegenwehr.
Was die Bettler auf der einen Seite rauben, das müssen
Betrogene auf der anderen Seite wieder ersetzen. Auf
diese Art schleicht unvermerkt das Gift der Sittenlosig-
keit durch alle Stände und verderbt endlich die ganze
Masse. Die Vernunft wird entbehrlich, wo die Begriffe
von Recht und Billigkeit dem Eigennutze weichen müssen;
alles versinkt in jene sinnliche Abspannung, die das
Laster unvermeidlich macht und bei den nachfolgenden
Krämpfen des Gewissens dem lauernden Aberglauben
gewonnenes Spiel gibt.
Nirgends erscheint der Aberglaube in einer schauderhafteren
Gestalt als in Köln, jemand, der aus unserm
aufgeklärten Mainz dahin kommt, hat in der Tat einen
peinigenden Anblick an der mechanischen Andacht, womit
so viele tausend Menschen den Müßiggang zu heiligen
glauben, und an der blinden Abgötterei, die der Pöbel
hier wirklich mit Reliquien treibt, welche den echten
Religionsverehrern unter den Katholiken selbst ein Ärgernis
geben. Wenn die Legende von den elftausend
Jungfrauen* auch so wahr wäre, wie sie schwer zu glauben
ist, so bliebe doch der Anblick ihrer Knochen in der
Ursulakirche darum nicht minder scheußlich und empörend.
Allein, daß man die Stirne hat, dieses zusammengeraffte
Gemisch von Menschen- und Pferdeknochen,
welches vermutlich einmal ein Schlachtfeld deckte, für
ein Heiligtum auszugeben, und daß die Kölner sich auf
diese Heiligkeit totschlagen lassen oder, was noch
schlimmer ist, den kühnen Zweifler selbst leicht ohne
Umstände totschlagen könnten, das zeugt von der dik-
ken Finsternis, welche hier in Religionssachen herrscht.
Wir besahen in der St. Peterskirche zu Köln die berühmte
Kreuzigung Petri von Rubens. Wenn ich nichts
anderes von diesem Meister gesehen hätte, so würde
mich dieses Stück nicht in Versuchung führen, allzu vorteilhaft
von ihm zu urteilen. Die ganze Figur des Apostels
ist sehr verzeichnet, und eine richtige Zeichnung
konnte doch bei einem so ekelhaften, das Gefühl so sehr
beleidigenden Gegenstände noch das einzige Verdienst
bleiben. Der Heilige wird hier ans Kreuz genagelt,
und - nun denke Dir die Abscheulichkeit! - damit
seine Henker bequemer zu den Füßen kommen können,
steht das Kreuz mit dem Kopf zuunterst; die Leiden des
Gemarterten sind folglich um so viel fürchterlicher. Hilf
Himmel, welch ein ästhetisches Gefühl hat so mancher
gepriesene Künstler gehabt! Sind das Gegenstände, die
eine Abbildung verdienen? Gegenstände, die ich in der
Natur nicht sehen möchte! Doch wir sind jetzt in der
Nähe der schönen Galerie; morgen will ich Dich von der
Kunst unterhalten.
Welch ein himmelweiter Unterschied zwischen Köln
und diesem netten, reinlichen, wohlhabenden Düsseldorf!
Eine wohlgebaute Stadt, schöne massive Häuser,
gerade und helle Straßen, tätige, wohlgekleidete Einwohner:
wie erheitert das nicht dem Reisenden das
Herz? Vor zwei Jahren ließ der Kurfürst einen Teil der
Festungswerke demolieren und erlaubte seinen Untertanen,
auf dem Platze zu bauen. Jetzt steht schon eine