kung des eigentlichen Kunstziels ist die Abzweigung
der Kunst in so manche ganz verschiedene Darstellungsarten,
womit es endlich dahin gekommen ist, daß insbesondere
der jetzigen Malerei kein Gegenstand der Natur,
der nur mit Farben sich bezeichnen läßt, außerhalb
ihrer Grenzen zu liegen scheint.
Wenn aber hier und dort unter den Künstlern eine
große Seele hervorgeht, so wird sie nach ihrem angeborenen
inneren Adel das Schöne dennoch ahnen, ihm
nachstreben und sich zuweilen, ungeachtet aller Hindernisse,
dem vorgesteckten Ziele nähern. Die physische
Natur und die Stufen der sittlichen Ausbildung verschiedener
Völker müssen diesen Flug des Genius entweder
begünstigen oder hemmen. Italien! reizendes Italien!
noch sah ich dich nicht! Italien ist reich an den
Trümmern der altgriechischen Kunst, und seinen Bewohnern
hat der mildere Sonnenstrahl, zugleich mit
einer gewissen Unabhängigkeit von manchem klimatischen
Bedürfnisse, auch ein reiches Maß von Spontaneität
und Empfänglichkeit zugeteilt. Was ich von dorther
kommen sah, es sei nun Gemälde, Gedicht oder Gesang,
das hat einen Zauber, der das Auge fesselt wie das Ohr
und den Sinn auflöst in Entzücken. Wenn ich hier in
den Saal trete, wo die Werke italienischer Meister, mit
flämischen untermischt, meinem Blicke begegnen - mir
ist zumute wie einem Europäer, der nach einem langen
Aufenthalt im Orient endlich einen näher mit ihm verwandten
Menschen erblickt; er untersucht nicht erst, ob
der Fremde ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer,
ein Spanier, ob er ketzerisch oder rechtgläubig sei: genug,
es ist ein Franke, dessen Sinnes- und Denkungsart
den seinigen gemäßer sind, der ihn und den auch er besser
versteht.
Es ist Zeit, daß ich’s bekenne: kaum hatte ich diesen
Morgen das Papier aus der Hand geworfen, so eilte ich
noch einmal in die Galerie, um nur an transalpinischen
Werken mich satt zu sehen. Was ich jetzt seit einer
Stunde daherphantasiere, ist nur die Reaktion, die der
Anblick dieser von allem flämischem Machwerk so abweichenden
Gestalten in meinem Kopfe veranlaßt hat.
Zuerst ging ich langsam durch die Säle, sah, wo die Italiener
hingen, und merkte mir in jedem Saale die Stücke,
die ich näher betrachten wollte. Die Lüsternheit wird
übermütig, wenn sie im Überflüsse wählen kann. Unter
der Menge dessen, was Künstler und Kenner hier interessant
finden würden, zog mich nur wenig an durch
Züge von inwohnender Schönheit, die von einem Sinne
des Malers für menschliche Größe zeugten. Ich ging aus
mit dem Vorsatze, zu sehen, ob ich etwas finden würde,
das ich um seiner Schöne willen lieben könnte, und Du
weißt, diese Liebe gehorcht keinem Zwange: sie ist das
Kind der freien Unbefangenheit; sie ist ein Kind, kein
erwachsener, gewitzigter Amor. Ich lasse die Klugen da
stehen und predigen vom Unterschied und Charakter
der verschiedenen italienischen Schulen, ich lasse sie da
eine Gruppe bewundern, weil sie pyramidalisch sich
spitzt, dort eine Draperie, die wahr gefaltet oder auch
groß geworfen ist, hier einen Ausdruck, der die Natur
nachahmt, hier wieder einen wie hingezauberten Effekt
des Lichtes. Das alles ist vortrefflich und sogar verdienstlich,
wenn Du willst; doch wenn von lieben die
Rede ist, so muß auch von Gestalt allein die Rede sein;
ich kann einen Haufen von Menschen, und stände er
noch so malerisch, nicht als bloßen Haufen, ich kann
keinen Rock, kein Gebärdenspiel, keine Beleuchtung,
keine Farbe lieben. Findet sich dies alles mit einer edlen
Zeichnung und einer schönen Form zu einem Ganzen
vereinigt, alsdann ist das Kunstwerk von einer hinreißenden
Vollkommenheit; aber auch abgesondert von allem
Nebenwerk ist ein bloßer Umriß, mit Raffaels