allein diesen Verstoß abgerechnet, der vielleicht um so
herzlicher ist, je weniger man sich zu Rubens’ Zeit über
Gegenstände der Religion das Nachdenken erlaubte und
je mehr der Künstler damals an die krassen Vorstellungen
der Priester jenes finstern Zeitalters gebunden war;
diesen Verstoß abgerechnet, bleibt dem Stücke wenigstens
das Interesse, welches man an schöngebildeten
Menschen nimmt. Wem es genügt an einem hübschen
flämischen Weibe statt der Madonna, an gesunden pausbäckigen
Knaben an der Stelle der Engel, der wird seine
Forderungen durch den schönen Körper des Märtyrers
auf dem Roste noch mehr befriedigt finden. Könnte man
nur die Größe der Gegenstände vergessen oder, noch
besser, könnte man diese Gegenstände nur mit Hintansetzung
aller eigenen Vorstellung davon so fühlen, wie
Rubens sie in seiner Phantasie entstehen sah; dann wirkten
vielleicht seine Bilder beides, auf den Geschmack
und auf das Herz, anstatt daß sie mir jetzt bei einem ändern
Maßstabe und edleren Formen nur Travestierungen
des Heroischen und Göttlichen scheinen.
Indes lieber diese gemeine, schwerfällige Phantasie,
als jene des Luca Giordano und des Annibale Carracci,
die sich in der Darstellung eines so gräßlichen Auftritts
wie des bethlehemitischen Kindermordes gefallen können;
und wiederum lieber noch diesen Kindermord vom
Meister Annibale, als jenes ungleich greulichere Gemetzel
der Christen in Persien unter dem König Sapor! Was
ist ein großer Künstlername, wenn solch ein buntschek-
kiges, steifes, elend gruppiertes, ohne Perspektive, ohne
Haltung, in harten Umrissen mühsam hingedrechseltes
Werk nichts anderes für sich hat als Albrecht Dürers
Ruhm? Empfindungsloser kann man nicht malen; und
wenn es wahr ist, daß die beiden schwarzgekleideten Figuren
in der Mitte des Gemäldes, die als müßige Zuschauer
den verabscheuungswürdigsten Szenen der
Menschenqual ruhig zusehen, Porträte des Künstlers
und seines besten Freundes sind, so möchte man auch
hinzusetzen: empfindungsloser kann man nicht sein.
Ließe sich doch nur die Echtheit dieses unedlen und zugleich
so sehr mißratenen Kunstwerkes mit einiger
Wahrscheinlichkeit bezweifeln!
Unedel im höchsten Grade, aber auch trotz aller Niedrigkeit
des Gegenstandes an Wahrheit, Charakteristik
und Ideenreichtum zum Meisterwerk gediehen ist daneben
der berühmte Marktschreier von Gérard Dou. Gewisse
Seelen sind zum Auffassen gewisser Gegenstände
geschaffen oder organisiert: diese spiegeln sie so rein
und klar wieder von sich, daß man sieht, die wurden
gleichsam ein Wesen mit ihnen; da sie hingegen für Eindrücke
aus einer ändern Klasse schlechterdings nicht
empfänglich scheinen, von ändern Objekten gar nicht
berührt werden können. Hogarth, der Meister in der
physiognomischen Bezeichnungskunst, der bewunderte
Karikaturenschöpfer, konnte keine schöne Figur entwerfen;
Gérard Dou, der hier die geringeren Volksklassen
nach ihren verschiedenen Geschlechtern, Gewerben und
Leidenschaften ganz mit sich selbst identifiziert zu haben
scheint, der unendlichen Scharfblick beweiset, wo es
auf die Sonderung der Wirkungen desselben Gegenstandes
auf verschiedene Gemüter aus diesen Volksklassen
ankommt, hätte für das Ideal einer griechischen Heldennatur
keinen Sinn gehabt. Diese geistigeren Wesen gehen
durch die grobe Seele hindurch und lassen keine
Spur von ihrer Berührung zurück. Zart und mit vulkanischer
Feuerkunst gewebt muß das Netz sein, in welchem
sich Mars und Venus fangen und den versammelten
Göttern zeigen lassen. Sollen wir nun zürnen, daß
nicht alle solche Tausendkünstler sind, oder lieber jedem
Geiste seine Art und Weise zu wirken und zu
schaffen gönnen, da es nun einmal nicht möglich ist, daß