tigkeit, oder lag es vielmehr wirklich im Charakter der
Flamen, daß wir uns gleich auf den ersten Blick einen
günstigeren Begriff von ihnen als von ihren brabanti-
schen Nachbarn abstrahierten. Soviel ist wenigstens gewiß,
daß diese Provinz, ob sie gleich weit später als Brabant
gegen die Bedrückung der Regierung reklamierte,
dennoch früher und mit mehr Entschlossenheit zu entscheidenden
Maßregeln griff.
Das Raschere, das Entschiedenere im Charakter dieses
Volkes ist auch in den Gesichtszügen ausgedrückt, und
wohlgebildete Männer sind uns in diesem Teile von
Flandern häufiger als in Brabant vorgekommen; allein
ihre Erziehung ist der brabantischen zu ähnlich, um uns
hoffen zu lassen, daß sie mit ihrem Jahrhundert weiter
als jene Nachbarn vorgerückt sein könnten. Auch hier
gibt es keinen Namen, den man im übrigen Europa mit
Achtung oder mit Bewunderung nennt. Zwar können
ganze Völker bei dieser Mittelmäßigkeit glücklich sein,
solange sie ruhig bleiben; doch wehe den Empörern, an
deren Spitze kein größerer Mensch einhergeht!
Auch unter dem hiesigen Frauenzimmer habe ich
manches hübsche flämische Gesicht bemerkt, und in
einem Buchladen glaubte ich an der Frau vom Hause das
Ebenbild einer von Rubens’ Frauen zu sehen; nur
schade, daß diese schönen und zum Teil auch feinen
Züge, dieses völlige Gesicht mit den großen, offenen
braunen Augen, den starken Augenbrauen, der kleinen
geraden Nase, den zarten, rosenroten Lippen und der
durchschimmernden Röte auf dem lebendigen Weiß des
Teints, so stumm und seelenlos erscheinen und von jener
Empfänglichkeit, die überall das Erbe des Weibes
sein sollte, nichts verraten. Ferne sei es, daß ich hier die
ausgebildeten Reize des ideenreichen Wesens fordern
sollte, die nach den Umständen unmöglich hier anzutreffen
sind; aber Seele könnte doch das Auge strahlen,
leise, sanft und innig könnten auch ungebildete Mädchen
empfinden. Von diesem allen zeigt das Äußere der
Fläminnen keine Spur. Eine Schlaffheit des Geistes, die
sich in Europa kaum abgespannter denken läßt, scheint
sie für jeden Eindruck, der außer dem Bezirk des mechanischen
Hausregiments und der ebenso mechanischen
Religionsübungen liegt, durchaus unempfindlich zu machen.
Wenn nicht die Nähe von England und Frankreich,
der Handel von Ostende und die Fabriken, die aus
jener besseren Zeit im Lande noch übriggeblieben sind,
französische und englische Moden einführten, würde
man es hier kaum merken, daß der Begriff des Putzes
auf den Begriff des Schönen eine Beziehung hat.
Die Beschreibung der öffentlichen Gebäude und Kirchen,
die man aus so vielen Reisebeschreibungen kennt,
wirst Du mir gern erlassen; ich schweige also von dem
ungeheuren Rathause, von den dreihundert Brücken,
die alle Teile dieser von Kanälen durchschnittenen Stadt
verbinden, und selbst von der großen gotischen Masse
der Kathedralkirche zu St. Bavo, mit den darangeklebten
Stücken von griechischer Architektur, die den Eindruck
ihrer Größe stören. Die Verschwendung von weißem
und von schwarzem Marmor in dem Innern dieses Tempels
würde mir indes aufgefallen sein, wenn mich nicht
auf eine weit angenehmere Art die Kunst beschäftigt
hätte. Die zahlreichen Kapellen enthalten einen Schatz
von flämischen Gemälden der ersten Klasse, von denen
ich Dir wenigstens ein paar bekannt machen muß, die
für mich etwas Merkwürdiges hatten. Zuerst nenne ich
die Auferstehung Lazari, ein Meisterwerk von Otto Ve-
nius, einem Lehrer des gepriesenen Rubens. Dieses in
Absicht auf die Komposition sehr fehlerhafte Stück, dessen
Umrisse zum Teil verzehrt, dessen Schatten schon
ein wenig schwarz geworden und dessen Farben trocken
sind, hat dennoch einzelne schöne Partien. Die Hauptfi