Rivalität wäre in der Tat unbedeutend, wenn sich nicht
eine zweite, im Punkt der Fabriken, hinzugesellte.
Rechtschaffene, unternehmende Männer, die dem Unsinn
des Zunftwesens nicht länger frönen und durch
Verfertigung schlechter Tücher ihren Kredit nicht länger
aufs Spiel setzen wollten, zogen sich allmählich von Aachen
zurück und ließen sich in der umliegenden Gegend
auf holländischem oder kaiserlichem Boden nieder, wo
es ihnen freistand, ihre Fabriken vollständig einzurichten,
und wo sie keine andere Einschränkung als das Maß
ihrer Kräfte und den Umfang ihres Vermögens kannten.
Zu Burtscheid, Vaals, Eupen, Montjoie, Verviers und
überhaupt in ganz Limburg entstanden unzählige Tuchfabriken,
wovon einige jährlich ein Vermögen von einer
halben Million in den schnellsten Umlauf bringen und
ihre Comptoire teils in Cádiz, teils in Konstantinopel
und Smyrna errichtet haben, dort die spanische Wolle
ausführen, hier die reichen Tücher wieder absetzen.
Die Folgen einer in allen Stücken so gänzlich verfehlten
Administration sind auch dem blödesten Auge sichtbar.
Die Straßen von Aachen wimmeln von Bettlern, und
das Sittenverderbnis ist, in der geringeren Volksklasse
zumal, so allgemein, daß man die Klagen darüber zu allen
Zeiten und in allen Gesellschaften hört. Wie konnte
sich auch bei dem gemeinen Manne die Spur, von
Rechtschaffenheit und von Grundsätzen erhalten, wenn
er das Beispiel der schändlichsten Verwaltung öffentlicher
Gelder ungeahndet vor Augen behielt? Seine Kinder
wurden Wolldiebe, Müßiggänger und Lottospieler,
folglich bald auch die verderbteste Gattung von Bettlern.
Unter diesen Umständen mußte der Gesetzgeber ein ungleich
schwereres Problem zu lösen suchen als seine
Vorgänger in alten Zeiten; denn rohe Menschen zur Tugend
anführen, ist ein ganz anderes und meines Bedün-
kens ungleich leichteres Geschäft, als gefallenen, zur Gewohnheit
des Lasters herabgewürdigten die Tugend
wiederzugeben. Daß eine weise Verfassung in einem hohen
Grade auf diesen Zweck hinwirken könne, ist unleugbar,
wenn man nicht allen Unterschied zwischen guten
und schlechten Verfassungen wegdisputieren will;
allein ich mag nicht berechnen, wieviel der Druck ungünstiger
Umstände, die eine Reform von Grund aus
nicht gestatten, an dem gewünschten Erfolge schmälern
könne. Die Folge der Zeiten entscheide und rechtfertige
den Redlichen, der, wo er das Beste nicht anwenden
durfte, noch den Mut behielt, unter dem minder Guten
das Bessere zu empfehlen.
Genehmigt die Stadt Aachen den ihr vorgeschlagenen
Konstitutionsplan, so wird sie in dem darin bestimmten
Bürgerausschuß das Bollwerk ihrer bürgerlichen Freiheit
finden. Zwischen das Volk und die vollziehende Gewalt
diese Mittelspersonen hinzustellen, die das Interesse des
ersteren gegen alle Bedrückung sichern und zugleich
den unzeitigen Ausbrüchen des Freiheitseifers, der so
selten seine Schranken anerkennt, durch ihr Alter und
das Ansehen ihrer Tugend wehren sollen: dies konnte,
so einleuchtend und allbefriedigend es auch ist, dennoch
hier nur von dem Geiste der Mäßigung herstammen,
dessen Ratschläge sich auf tiefe Menschenkenntnis
und auf den großen Erfahrungssatz gründen, daß keine
moralische Freiheit je so vollkommen gedacht werden
könne, um die Zulassung einer absoluten bürgerlichen
zu rechtfertigen. Von der Masse des Menschengeschlechts,
nach ihrer jetzigen Sittlichkeit zu schließen,
ist nur unausbleiblicher Mißbrauch der reinen, absoluten
Freiheit, sobald sie ihr verliehen würde, zu erwarten.
Nur der Tugendhafte im erhabensten Sinne verdient
diese Freiheit; allein kann sie, kann die völlige Gesetzlosigkeit
ihm wohl mehr geben, als was er in der Unabhängigkeit
seines Geistes von allem Bösen schon besitzt?