Schönheitssinn entworfen, mehr wert als das vollendetste
Gemälde, dem dieses wesentliche Bedingnis fehlt.
Licht und Farbe, Bewegung, Ausdruck und Anzug kann
die Einbildungskraft sich zu einer gegebenen schönen
Gestalt leicht hinzudenken; hingegen den feineren Genuß
stört unwiederbringlich eine schlechte oder gemeine
Natur, das Gemälde sei übrigens noch so meisterhaft
ausgeführt.
Hast Du nicht die Susanna von Domenichino bewundern
und rühmen gehört? Die ist nun wirklich ein schön
und richtig gezeichnetes Weib, und dennoch gefällt sie
nicht, weil ihr gemeines Gesicht an sich nicht reizend ist
und auf eine höchst widrige Art von dem häßlichen
Schrei entstellt wird. Das Hauptinteresse des Stückes
geht also verlören; man muß sich zur Schadloshaltung an
Nebensachen ergötzen. Doch auch die Stellung ist ungraziös
und sogar unvorteilhaft, indem sie die ganze Figur
wie ein lateinisches Z zusammendrückt. Die Farbengebung
des Nackten ist für einen Domenichino immer
zu bewundern, jedoch zum Teil verblichen. Die im Bade
rotgewordenen Füße, die man dem Maler zum Verdienst
anrechnet, weil er die Natur so gut zu belauschen
gewußt, machen gleichwohl für das Auge eine unangenehme
Disparität. So gefährlich ist es manchmal, in der
Nachahmung des Natürlichen zu weit zu gehen. Es fällt
dem Zuschauer lange zuvor auf, daß die Susanna rote
Füße hat, ehe er sich bescheidet, sie könne auch wohl
schon aus dem Wasser gestiegen sein. Die Szene ist
übrigens gar nicht poetisch behandelt. Ein jedes gemeines
Weib, das nicht von ausgelassenen Sitten ist, würde
sich so benehmen; hier aber sollte der Künstler ein edles,
tugendhaftes, großes Weib bezeichnen. Da er einmal
mit einem ungeheuren Badetuche so freigebig war und
die keusche Jüdin noch überdies zur Sicherheit mit
einer Balustrade umgab, so wäre es ihm ein leichtes gewesen,
sie voll Anmut und Würde, stehend, mit edlem
Unwillen auf den Lippen, mit einem großen Blick der
Verachtung in den reizenden Augen hinzustellen, fest,
entschieden und entschlossen, sich eher der Lästerung
als den Begierden ihrer Verfolger preiszugeben. Dann
hätte meinetwegen sich auch ihr Mund öffnen mögen,
um Hilfe zu rufen; dieses Rufen hätte nicht, wie das Geheul
des Schreckens, ihr Antlitz entstellt. Ich gestehe
gern, daß die apokryphische* Erzählung selbst zu einer
solchen Begeisterung keine unmittelbare Veranlassung
gibt. Wie entdeckt sich Susannens Unschuld? Ein Knabe
verhört die Kläger, und weil einer das schöne Weib in
den Armen ihres Liebhabers unter der Linde, der andere
unter der Eiche gesehen haben will, ist das Hauptfaktum,
worin beide übereinstimmen, nicht wahr! Bei solchen
Gelegenheiten erinnert man sich auch eines Baumes!
Allein die Juden in Babylon glaubten an
Keuschheit, und Daniel bewährte seine Weisheit, indem
er diesen Glauben zugunsten der schönen Susanna benutzte.
Es scheint übrigens nicht, daß Domenichino auf
diesen Teil der Geschichte Rücksicht genommen hat,
denn es stehen eine Menge von Bäumen verschiedener
Art im Garten um das Bad herum. Dachte er vielleicht,
die Ältesten hatten wohl beide recht? Die Susanna ist indes
ein Lieblingssujet der Malerei. Van Dycks Behandlung
dieses Gegenstandes habe ich schon erwähnt; hier
ist noch eine dritte Susanna von Domenichinos Meister,
Annibale Carracci, die ganz nackt, ganz ruhig und sorglos
dasitzt und sich aus einem Springbrunnen Wasser
auf die Hände rinnen läßt. Die Figur ist eine gute Akademie,
ziemlich warm koloriert, und weiter nichts. Die
alten Faunen beschleichen sie.
Von Raffaels Händen sah ich hier nur ein kleines Bild,
eine Heiligt Familie, in seiner ersten Manier, wo er Meister
Peruginos Fesseln noch nicht abgeworfen hatte. Das