her zu heben; man kappt das Tau, woran es noch befestigt
war - und nun, als fühlte der ungeheure Körper ein
eigenes Leben, nun fängt er an, erst langsam und unmerklich,
bald aber schneller sich zu bewegen; schon
krachen unter ihm die kleinen untergelegten Bretter,
und sieh, jetzt gleitet er mit immer zunehmender Geschwindigkeit
ins Meer! Tief taucht sich der Schnabel
ein, bis das Wasser die ganze Masse trägt; ebenso tief
versinkt jetzt wieder das Hinterteil; die Fluten laufen
hoch am Ufer hinauf, und die umliegenden Schiffe
schwanken hin und her. Es jauchzt und frohlockt die
Menge der Waghälse, die auf dem neuen »Triton« über
unseren Köpfen wegfahren; sie schwenken ihre Hüte,
und ein lauteres Jubelgeschrei vom Lande übertönt ihre
Stimmen. So hebt sich himmelan das Herz von stolzer
Freude über das Wollen und Vollbringen des menschlichen
Geistes!
Ich weile noch einen Augenblick auf diesem Schauplatz
der umfassendsten Geschäftigkeit; denn sie ist es,
der die Stadt und selbst die Republik ihr Dasein und
ihre Größe verdanken, und in der Betrachtung dieses
Phänomens werden zugleich die Hauptzüge des Nationalcharakters
offenbar. Welches andere Volk in Europa
hätte den ausdauernden Mut gehabt, mit Philipp dem
Tyrannen, dem mächtigen Beherrscher beider Indien,
und seinen Nachfolgern den achtzigjährigen Krieg zu
führen? Welches Volk hätte nicht in dem unglücklichen
Jahr 1672, als Ludwig der Vierzehnte schon bis Muiden
vorgedrungen war, ich will nicht sagen sich ergeben,
sondern zu zahlen aufgehört? Nur mit ihren durch den
Handel erworbenen und konzentrierten Kräften, mit
ihren vorsichtig aufgehäuften Materialien zum Schiffbau
und zur Ausrüstung ihrer ungeheuren Flotten konnten
die Niederländer so lange der vereinigten Seemacht von
Frankreich und England die Spitze bieten; allein ohne
die freiwillige Einschränkung auf die ersten Bedürfnisse
des Lebens, diese hohe Republikanertugend, die hier
wenigstens in eben dem Maße räsoniert als klimatisch
und körperlich war, hätten sie zu einem solchen langwierigen
Wettstreit weder physische Kräfte noch Stärke
der Seele gehabt. Wahrlich, die Besonnenheit, die mit
unermüdetem Fleiße, mit dem redlichen Bestreben nach
einem Vermögen, welches der Erwerb ihrer eigenen
Hände sei, mit Geschicklichkeit in den mechanischen
Künsten und Talent zu ihrer Vervollkommnung, mit
Kühnheit auf dem Meere, mit Tapferkeit im Kampfe,
mit Standhaftigkeit in Gefahr, mit Beharren in Widerwärtigkeit,
mit Enthaltsamkeit im Überfluß und, was
über dieses alles geht, mit unauslöschlicher Freiheitsund
Vaterlandsliebe verbunden ist - die darf man wohl
etwas mehr als bloßes Phlegma nennen!
Also nicht dem Auge allein, sondern auch dem Verstand
erscheint Amsterdam von der Wasserseite in seinem
höchsten Glanze. Ich stelle mich in Gedanken in
die Mitte des Hafens und betrachte links und rechts die
Gruppen von vielen hundert Schiffen aus allen Gegenden
von Europa; ich folge mit einem flüchtigen Blick
den Küsten, die sich nach Alkmaar und Enkhuizen erstrecken
und auf der ändern Seite hin den Busen des Te-
xels bilden. Die Stadt mit ihren Werften, Docken, Lagerhäusern
und Fabrikgebäuden; das Gewühl des fleißigen
Bienenschwarmes längs dem unabsehlichen Ufer, auf
den Straßen und den Kanälen; die zauberähnliche Bewegung
so vieler segelnder Schiffe und Boote auf dem Zui-
dersee und der rastlose Umschwung der Tausende von
Windmühlen um mich her - welch ein unbeschreibliches
Leben, welche Grenzenlosigkeit in diesem Anblick!
Handel und Schiffahrt umfassen und benutzen zu ihren
Zwecken so manche Wissenschaft; aber dankbar bieten
sie ihr auch wieder Hilfe zu ihrer Vervollkommnung.