dem, was er malte, sieht das Auge, welches der Zergliederer
bemerken gelehrt hat, eine vernachlässigte Kenntnis
der bestimmteren Gestalt der Teile und eine unrichtige
Manier, sie anzudeuten. Das Feuer des Bildners
entschuldigt keineswegs diese Unrichtigkeit: denn
wahre Künstlergröße findet man nur da, wo die wirkenden
Kräfte zusammengehalten, zweckmäßig aufgespart,
nicht bloß in flüchtigen Explosionen eines Augenblicks
verschwendet wurden. Wie die Natur mit immer gleicher,
nie erschöpfter Energie ohne Unterlaß neue Bildungen
von sich ausströmen läßt und gleichwohl mit bewundernswürdiger
Geduld alles bis auf die kleinsten
Teilchen nach ihren ursprünglichen Modellen langsam
und getreulich ausarbeitet, so muß ihr Nachahmer ebenfalls
dem wilden Drange, der ihn reizt, die Gebilde seiner
Phantasie im Materiellen darzustellen, einen starken
Zügel anlegen können, damit sein warmes Brüten nur
edle, vollkommene Früchte reifen möge. So wußte Raffael,
der größte Mensch, der je den Pinsel führte, seinem
Genius zu gebieten, indem er es nicht für kleinfügig
hielt, zu jeder seiner Figuren eine Skizze zu entwerfen,
deren Verhältnisse er mit dem Zirkel maß. Daher
kommt es denn auch, daß die Arroganz der jungen
Zeichner, die auf den ersten Blick an seinen Figuren
nichts Besonders sehen, bei dem ersten Versuche, sie zu
kopieren, zuschanden wird. Diese Umrisse des flämischen
Pinsels hingegen mag man leicht in der Kopie verfehlen,
ohne befürchten zu müssen, daß Mißgestalt die
Unähnlichkeit verrate.
Schönheit ist also nicht in Formen von Rubens zu suchen;
denn sie ist die Tochter des Ebenmaßes. Wären
aber seine Figuren auch richtig gezeichnet, so würde
doch schon allein ihre flämische Feistigkeit den Begriff
des Schönen verscheuchen. Dies ist bei ihm, wie es
scheint, ein verderbter Geschmack, weil Italien ihn mit
schöneren Formen vertraut machen konnte. Ich habe
seine Fleischmassen als natürlich rühmen gehört; allein
ich finde sie unaussprechlich ekelhaft. Das hangende, erschlaffte,
lappige Fleisch, die Plumpheit aller Umrisse
und Gliedmaßen, der gänzliche Mangel von allem, was
auf Anmut oder Reize nur Anspruch machen darf - ich
kann nicht sagen, wie mich das unwillkürlich zwingt, die
Augen wegzuwenden, um einem widrigen Eindrücke zu
entgehen. Unter zehn Bewunderern von Rubens würden
kaum zwei oder drei den Anblick solcher Menschen, wie
er sie hier malte, in der Natur ohne Widerwillen ertragen.
Warum dulden sie aber oder bewundern wohl gar
im Bilde, was lebend sie anekeln würde? Weil der Pinsel
das Allzuscheußliche verwischt; weil den meisten Menschen
nur an der Nachahmung liegt, gleichviel was ihr
Gegenstand sei; endlich weil wir den Schönheitssinn
und den Geschmack zu den seltensten Göttergaben zählen
müssen.
Wenn aber Rubens in den Umrissen und in der Darstellung
des Schönen fehlte, bleibt ihm nicht wenigstens
die Magie seines Kolorits, die seit mehr als hundert Jahren
so oft gepriesen ward und noch in voller Kraft besteht?
»Dieses Fleisch«, wird der Kenner sagen, »ist wahres,
blutreiches Fleisch; diese zarte, sammetweiche Haut
glaubt man anfühlen zu müssen; diese Lippen glühen
mit lebendigem Purpur; überall sieht man deutlich, daß
die Wirkung der Farben und des Aussehens verschiedener
Oberflächen dem Gedächtnisse dieses großen
Künstlers tief eingeprägt worden ist, und daß er auch die
Kunst besessen hat, beides mit Wahrheit darzustellen.
« - Ich wünsche immer, wenn ich diese Lobsprüche
mit anhören muß, daß gleich ein gutes lebendiges Modell
zur Hand wäre, welches man entkleiden und neben
ein Bild von Rubens hinstellen könnte. Man würde dann
gar bald gewahr werden, daß jener Zauber, der so mäch