er darum doch einsehen, was recht und gut, was der Bestimmung
des Menschen und seiner ganzen Natur gemäß
sei oder nicht. Mehr fordern wir auch nicht für uns;
aber dies wenige darf man uns nicht verweigern, wenn
man nicht allen Fortschritt der Erkenntnis hemmen und
uns dem Rechte des Stärkeren unterwerfen will. Ein anderes
ist es, erkennen und öffentlich bekennen, was
wahr, gut und recht genannt zu werden verdient, die
Vernunft dort anwenden, wo sie am unentbehrlichsten
ist, zur Prüfung der wichtigsten Verhältnisse des Lebens;
ein anderes, die Welt nach dieser Erkenntnis, die
sich nur allmählich einimpfen, nur langsam mitteilen
und verbreiten läßt, plötzlich umschaffen und mit Gewalt
vervollkommnen wollen.
Doch die Frage von Recht beiseite, so läßt sich allerdings
noch bezweifeln, ob es der Klugheit des Regenten
geraten war, im gegenwärtigen Falle den Despotismus
der Aristokratie entgegenzustellen und es darauf ankommen
zu lassen, auf wessen Seite das Volk sich neigen
würde. - Das Volk? Trägt es nicht überall die Fesseln
der Gewohnheit als einen angeerbten Schmuck, den zu
veräußern oder gegen eine schönere und nützlichere
Zierde zu vertauschen es für ein Verbrechen hält! War
es nicht in den Niederlanden insbesondere gleichgültig
gegen jede Neuerung, auch wenn sie ihm, wie die Eröffnung
der Schelde, mit keinem Umsturz seiner Verfassungen
drohte und vielmehr reinen Gewinn zu bringen
versprach? Konnte man vergessen, daß es in der Hand
seiner Beichtväter ein bloß leidendes Werkzeug ist?
Vielleicht verachtete der Kaiser die wirklich auffallende
Erschlaffung selbst dieser Theokraten, die dicke Finsternis,
in welcher ihre Geisteskräfte schlummern, die Feigheit,
die so oft die Gefährtin eines bösen Gewissens ist;
er glaubte vielleicht, die Sybaritenseelen* würden zittern
vor dem Ernst eines Mannes. Diese Überzeugung
wäre dann ein neuer Beweis des Scharfblicks, womit Joseph
die Menschen durchschaute. Wirklich zitterten sie,
sooft er ihnen in furchtbarer Herrschergewalt erschien.
Erst nach dem unglücklichen Feldzuge wider die Türken
im Jahre 1788 wuchs ihr Mut gegen den sterbenden
Kaiser, und selbst dann bedurfte es genau des ganzen
Zusammenflusses von Begünstigungen des Schicksals,
um ihnen das Zeichen zum Aufruhr zu entlocken.
Die Lieblingsidee des Kaisers, eine völlige Gleichförmigkeit
des Administrationswesens und der Gesetzgebung
in allen seinen Staaten einzuführen, ist ebenfalls
nicht frei von Tadel geblieben. Es scheint in der Tat natürlicher,
die Formen nach dem verschiedenen Genie
der Völker abzuändern, als alle Völker in eine Form zu
zwängen. In Italien, Deutschland, Böhmen, Ungarn und
Belgien sind die Menschen viel zu weit voneinander verschieden
in physischen und moralischen Anlagen, in Sitten
und Gewohnheiten, um gleichen Handlungen denselben
Wert oder Unwert beizumessen. Die Verschiedenheit
des Bodens, der Lage, des Himmelsstrichs
bestimmt diese Mannigfaltigkeit im Menschengeschlechte
wie in der ganzen organischen Schöpfung, die
nur durch sie desto reicher und schöner unseren Augen
und unserem Verstände entgegenglänzt. Sie durch
irgendeinen Mechanismus einschränken wollen, scheint
beinah eine Versündigung an der Natur. Allein zur
Rechtfertigung des Kaisers muß man sich erinnern, daß
er am Rhein und an der Donau, am Po wie an der Maas
und Schelde, eine weit unbegreiflichere Gleichförmigkeit
als die war, die er einführen wollte, wirklich errungen
sah: eine Gleichförmigkeit des Glaubens an unsichtbare,
die Vernunft und ihre Formen weit übersteigende
Dinge, eine allgemeine, unbedingte Gleichförmigkeit,
die sich bis auf die individuellen Bestimmungen erstreckt,
die sich ein Recht der unumschränkten Herr