ben; es ist doch unmöglich, eher daran zu denken, als
bis man an den Wundern der Zeichnung geschwelgt hat
und einen Vorwand sucht, um endlich sich loszureißen.
Umsonst! diese kleinen Unvollkommenheiten, die so innig
mit der Schönheit und dem Seelenadel des Weibes
verwebt sind, werden bei ihr zu neuen Fesseln für unser
Auge und für das Herz. Man überredet sich gern, daß etwas
so Vortreffliches nicht anders, als wie es ist, vortrefflich
sein könne, und liebt den Flecken um des Platzes
willen, den man ihm neidet. Die Natur hat die Talente
nicht vereinigen können, nicht Tizians Sinn für den zarten
Hauch des Lebens, mit unseres Leonardos leiser Ahnung
des Seelenausdrucks! Sie gehen also wohl nicht
beisammen, und wir begnügen uns — begnügen? so vermessen
dürften wir vom Genüsse der edelsten Schöpfungen
des Genius sprechen? -, wir sind überglücklich,
uns in den Gesichtspunkt eines jeden einzeln zu versetzen
und ihre Seele in einer Sprache von unaussprechlichen
Ausdrücken mit der unsrigen in Gemeinschaft treten
zu lassen. Ein jeder wähle, was ihm frommt! Ich
halte mich hier an den Zauberer, der Geister vor mir erscheinen
läßt; wohltätige Erscheinungen, die, einmal gesehen,
ewig unvertilgbare Spuren ihres Daseins im Innern
des Schauenden hinterlassen. Ist das eines Malers
Frau? dann werft eure Paletten weg, ihr anderen Maler,
wenn ihr Madonnen und Engel, die seligen Bewohner
des reinen Äthers, malen sollt. Sie hat in sich, die Fülle
alles dessen, was ändern Regel und Muster ist; ihr selbst
unbewußt, denn sie kennt weder Regel noch Muster. Ihr
Sinn ist Jungfräulichkeit, ihr Tun lauter wie das Element,
in dem eure Götter atmen; Sanftmut und die äußerste
Feinheit umschweben ihren wahren, zarten
Mund; unbeschreiblich leise sinnt es nach in ihr im Eindruck
des Kopfs um die Gegend der Schläfe; heilig und
rein ist das große niedergeschlagene Augenpaar, das die
Welt in sich aufnimmt und sie schöner wiedergibt. Wer
möchte nicht unsichtbar sie umschweben in ihrer dunklen
Grotte, deren Grund fast nicht zu erkennen ist, wo
sie einsam und in stiller Ruhe die Natur der Blüten ergründet,
sie selbst, die zarteste und schönste der Blüten!
Die Mauerraute wuchert in den Ritzen der feuchten Felsenwand,
und die Ranken des Zimbelkrauts hängen üppig
daran herunter und wollen gedrückt sein von ihr! Alles
ist vollendet und bis auf die zartesten Merkzeichen
ausgemalt, alles in seinen unbedeutendsten Umrissen
wahr und bestimmt. O Carlo Dolci! wehe dem, der von
einem solchen Meister wie Leonardo da Vinci nicht
lernte, die Sorgfalt der Natur von der ekelhaften Pinselei
der Manier unterscheiden!