dein scheint als Michelangelo. Ich will es ebenfalls nur
im Vorbeigehen berühren, daß schon gesellschaftliche
Verhältnisse dem Maler verbieten sollten, einen Gegenstand
der allgemeinen Ehrfurcht durch eine Schilderung
verächtlich zu machen. Zwar weiß ich wohl, daß Tausende
von Reisenden, denen dieses Bild schon wegen
seiner Höhe von achtzehn Fuß oder, wenn es hoch
kommt, wegen der darauf vorgestellten erhabenen Wesen
Bewunderung und Anbetung entlockt, sich nimmermehr
werden einfallen lassen, hier an eine kompromittierte
Würde der Religion zu denken.
Doch hinweggesehen von allem, was diese strenge
Kritik fordern kann, steht dem Kunstwerke noch eine
andere Prüfung bevor. Es ist nicht genug, daß wir das
Jüngste Gericht in dem Gemälde wirklich wiederfinden,
wenn der Galerieinspektor uns zuvor belehrt hat, diesen
unbegreiflichen Augenblick der Zukunft darin zu suchen.
Der Künstler muß vielmehr so klar und deutlich
erzählen, daß wir auf den ersten Blick, was er darstellen
will, sei es Geschichte oder Dichtung, in seinem Bilde
wiedererkennen; oder aber, wenn dieses nicht der Fall
ist, wenn er nur auf jene vorher bekannten Gegenstände
anspielen, ihre einzelnen Züge hingegen aus seiner eigenen
Phantasie neu schöpfen will, so dürfen wir wenigstens
zum Ersätze von ihm fordern, daß auch sein Gedicht
ein schönes edles Ganzes sei, dessen Teile sich
harmonisch zusammenfügen und sowohl im einzelnen
als in der Verbindung miteinander diejenige Rührung
im Gemüte des Zuschauers hervorbringen, ohne welche
es Jammer wäre, daß jemals Zeit und Kraft an irgendeine
bildende Kunst verschwendet wurden. Ist dieses
nun die Wirkung von Rubens’ großem Meisterwerke?
Noch nie, ich gesteh es Dir frei heraus, fand mein
Auge darin einen Punkt, wo es hätte ruhen können.
Nein, es war keine der Musen, die den Künstler zu solchen
Ausgeburten begeisterte. An der dithyrambischen*
Wut, die durch das Ganze strömt, an diesen traubenähnlichen
Gruppen von Menschen, die, als ekelhaftes Gewürm
ineinander verschlungen, eine verworrene Masse
von Gliedern und - schaudernd schreib ich, was ich
sehe - einen kannibalischen Fleischmarkt vorstellen, erkennt
man die wilde, bacchantische Mänade, die alle
Bescheidenheit der Natur verleugnet und, voll ihres Gottes,
den Harmonienschöpfer Orpheus zerreißt.
Ganz zuoberst, am Rande des Bildes, ragt ein Greis
hervor, fast wie die Alten den Neptun zu bilden pflegten,
mit zerwehtem Haar und straubigem Bart. In seiner
Linken hält er ein Kügelchen, nicht so groß wie sein
Kopf; die Rechte ruht auf einer großen hellen Wolke,
die von der Brust an seinen ganzen Körper verdeckt.
Man ist gewohnt, auf diese Art ein Wesen darzustellen,
welches eine jede Abbildung von ihm selbst ganz unbedingt
verboten hat und in der Tat, wenn man sich einen
Augenblick besinnt, auch schlechterdings nicht abgebildet
werden kann. Ohne die Gewohnheit, die uns dergleichen
Vorstellungen erträglich macht, würde es unmöglich
sein, in dieser kümmerlichen Menschengestalt die
erste Person des unsichtbaren Gottes, der ein unendlicher
Geist ist, zu erkennen. Doch wir wollen es mit dieser
Figur so genau nicht nehmen: Rubens verrät seine
Verlegenheit hinlänglich, indem er sie im Hintergründe
hält, in sich gekehrt, mit halbgeschlossenen Augen, an
dem, was unten vorgeht, keinen Teil nehmen und an allem,
was Größe und Göttlichkeit bezeichnen könnte,
leer ausgehen läßt, vermutlich, damit die Hauptfigur so
reich als möglich erscheinen möge. Tiefer hinabwärts
sitzt auf den Wolken der Sohn Gottes. Über seinem
Haupte schwebt die göttliche Taube oder, wenn man
darüber streiten wollte, wenigstens gewiß ein Vogel;
und ebenso schweben auch, jedoch weder beseelt noch