Lüttich
Es kommt mir vor, als wären wir durch den Schlag einer
Zauberrute in ein anderes Land versetzt, so unendlich
verschieden ist alles, was ich hier um mich sehe, von
demjenigen, was ich noch vor wenigen Stunden in Aachen
verließ. Schon der erste Anblick der Stadt war überraschend.
Man wird sie aus der Ferne nicht gewahr;
denn sie liegt in einem tiefen Tal an der Maas, die in
mehrere kleinere Arme zerspringt. Es gibt wenig schönere
Aussichten auf eine gleichsam unter den Füßen liegende
Stadt als diese, die ich von der Kartause hinunter,
indem wir hineinfuhren, genoß. Ich weiß nicht, wie es
kam, aber ich hatte mich auf ein kleines Städtchen gefaßt
gemacht; und wie erstaunte ich nun, als ich eine große
Stadt erblickte, die hunderttausend Einwohner enthalten
kann und wirklich enthält. Wunderschön schlängelt
sich die Maas, die hier noch von mittlerer Breite ist, hindurch
und nähert sich bald auf der einen, bald auf der
ändern Seite dem Abhang der Berge, zwischen denen
sich das Tal als eine ebene, so weit das Auge trägt, meist
mit Hopfen bepflanzte und mit einigem Gras wuchs bereicherte
Fläche zieht. Nach allen Richtungen ist die
Stadt mit Steinkohlengruben umgeben, ja sie steht zum
Teil auf den bereits abgebauten, ausgehöhlten Kohlebergwerken.
Zu beiden Seiten des Flusses, jedoch so,
daß auf die Exposition nach Süden Rücksicht genommen
wird, an den in einiger Entfernung sich erhebenden
Gehängen des Tals, erstreckten sich weitläufige Weinberge,
die also wieder, wie die bei Hochheim, auf Steinkohlen
liegen. Die Flöze sind sehr beträchtlich und an
manchen Stellen tief unter dem Bette der Maas bereits
ausgeleert. Die entfernteren Hügel sind mit Ulmen, Pappeln
und ändern Bäumen bewachsen und mit Landhäusern,
Schlössern usf. reichlich verziert. Am Ufer des
Flusses erstreckt sich ein Quai, der in einer schönen
hochstämmigen Allee endigt.
Die Straßen von Lüttich sind eng, winklig, krumm
und nicht sehr reinlich; es gibt indes doch mehrere
schöne Gebäude: an dem Quai, an den offenen Plätzen
und auf der sogenannten Insel hinter der St.-Jakobs-Kir-
che bemerkte ich eine Menge guter, neuer Häuser. Der
bischöfliche Palast ist ein Viereck, dessen inwendiger
Hof rundum einen Säulengang hat, wenn man anders
die abscheulichen, kurzen, bauchigen Dinge mit Kapitellen
und Fußgestellen so nennen will. Die äußere Fassade
hingegen, nach der Kathedralkirche zu, ist desto
schöner, in einem guten Geschmack, mit rein ionischen
Pilastern. Die Dominikanerkirche mit einer schönen,
runden, einfachen Kuppel, die nach einer in Rom kopiert
ist, zeichnet sich ebenfalls vorteilhaft aus. Die alte
gotische Kathedrale bot uns dafür desto weniger Bemerkenswertes.
Der beständig fortdauernde Lärm und das Gewühl in
den Straßen zeugt von einer außerordentlichen Betriebsamkeit.
Dieses Schauspiel von durcheinanderlaufenden,
geschäftigen Menschen, so schmutzig auch die meisten
aussehen, gewährt mir einen außerordentlichen, sehr
lange entbehrten Genuß. Die Köhler, die Messer- und
Waffenschmiede und die Spiegelmacher sind ein rohes,
aber rüstiges, lebhaftes, heftiges Volk, deren Tätigkeit
mit dem Phlegma der Aachner schneidend kontrastiert.
Die Volksphysiognomien haben hohe, gerade in die
Höhe gehende, an den Seiten zusammengedrückte Stirnen,
breite Jochbeine, schwarze, nicht gar große Augen,
wohlgebildete, zuweilen ein wenig aufgeworfene Nasen
und dicke Lippen, bei einem nicht gar reinen Teint. Sie
nähern sich also den französischen und unterscheiden