Von dem Charakter des Volkes ließen sich vorteilhafte
Veränderungen hoffen, wenn man es in neue Tätigkeit
versetzte; es war vielleicht nur eine äußere Veranlassung
nötig, um in demselben schlummernde Kräfte
zur Wirksamkeit zu berufen. Schon die Eröffnung der
Schelde allein hätte diesen Erfolg haben müssen, da die
Erscheinungen, die ihre Verschließung hervorbrachte,
für ganz Europa so wichtig gewesen sind. Aber die eifersüchtige
Politik der Nachbarn vereitelte diese glänzende
Aussicht um so viel leichter, da die belgische Nation
nicht einen Funken der Begeisterung blicken ließ, womit
jedes andere Volk, das fähig gewesen wäre, seinen
eigenen Vorteil zu erkennen, bei einer solchen Veranlassung
dem Landesherm alle Kräfte dargeboten hätte.
Diese Fühllosigkeit mußte der Kaiser tief empfinden;
sie mußte ihn auf die Wurzel des Übels zürückführen
und ihn in der ihm nur allzu gegenwärtigen Überzeugung
befestigen, daß seiner höheren Einsicht das große
Werk, seine Untertanen wieder zu beseelen, allein aufbehalten
sei. Wenn er wenig Achtung für die Vernunft
des großen Haufens besaß, wenn er den Beruf in sich
fühlte, seine Untertanen, die ihm unmündige Kinder
schienen, mit der ganzen Autorität des Vaters zu ihrem
Besten anzuführen: wer findet den Irrtum nach solchen
Beispielen nicht verzeihlich? Wer bedauert nicht den
Monarchen, dessen Volk so weit hinter ihm zurückgeblieben
war, daß er sich zu seinen Bedürfnissen nicht
mehr herablassen konnte? Die Gleichgültigkeit der Belgier
gegen die Maßregeln des Kaisers, die keinen ändern
Zweck als den größeren Flor ihres Vaterlandes hatten,
und bald hernach die störrige Widersetzlichkeit, die sie
gegen seine vorgenommenen Neuerungen äußerten, erklären
auch ein anderes Phänomen, welches sonst bei
einem Fürsten, der so strenge Begriffe von Regentenpflicht
hatte, befremdend scheinen möchte; ich meine
das bekannte Projekt von einem Ländertausche*, wodurch
er diese so sehr verwahrlosten Menschen ihrem
Schicksal überlassen wollte.
Wie weit ging denn nun des Kaisers Befugnis und
Recht, seine Neuerungen durchzusetzen? Über diese
Frage ward bereits lange und wird auch noch gestritten.
Die Folge der kaiserlichen Reformen war Widerstand,
Aufruhr, Krieg; das Blut von Tausenden mußte fließen,
die Ruhe von Millionen ward geopfert - für was? - für
den Einfall eines Monarchen. Rühmlich und gut war
seine Absicht, aber bei einem zweifelhaften Erfolg; und
wenn so vieler Menschen Wohl auf dem Spiele steht,
darf niemand selbst das Gute nicht durch gewaltsame
Mittel erzwingen, dem Volke die gewissen oder eingebildeten
Vorteile, die es schon genießt, nicht eigenmächtig
entreißen, solange es in demjenigen, was man ihm an
ihrer Stelle darbietet, keinen Gewinn erkennt. Im Gegenteil,
man soll die goldene Regel des frommen Bonafi-
des befolgen:
Wenn an das Gute,
das ich zu tun vermeine, gar zu nah
was gar zu Schlimmes grenzt; so tu ich lieber
das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
so ziemlich zuverlässig kennen, aber
bei weitem nicht das Gute. -
Noch mehr: der Thron schützt so wenig vor Irrtum, daß
er unter gleichen Umständen oft eine Quelle desselben
wird. Der Kaiser konnte wirklich irren, er konnte wohl
gar in guter Absicht etwas wollen, das an sich ungerecht
und in allen seinen Folgen schädlich war. Wohlan! jene
Maximen wollen wir einstweilen gutheißen, diese Möglichkeit
zugestehen. Allein, wenngleich der Kaiser in
den Niederlanden nichts hätte ändern sollen, so durfte