des Widerspruchs beurteilen kann, oder ein Wort - zum
Beispiel Freiheit -, das ohne Metaphysik unverständlich
ist, muß sich seiner bemächtigen und ihn im Kreise umherwirbeln,
das Spiel einer fortwährenden petitionis prin-
cipii*. Indes, so unfähig die Lütticher auch sind, einen
Streit über die Grundsätze des geselligen Lebens, den
die Philosophen selbst noch nicht ins reine brachten, abzuurteilen,
so genau sind sie doch von den Tatsachen
unterrichtet, welche ihre gegenwärtigen Angelegenheiten
betreffen, und hier, wie überall, entscheidet das Gefühl
augenblicklich, ehe noch die Vernunft, die das Vergangene
und das Zukünftige bis an die äußersten
Grenzen der Zeit mit in ihre Entscheidungsgründe einschließt,
sich aus dem Chaos entgegengesetzter Verhältnisse
herauswirren kann.
Die wichtigen Fragen, worüber wir hier deräsonieren*
hörten, kann zwar ein Köhler oder ein Schwertfeger
nicht entscheiden; allein unter allen Menschen, denen
diese Fragen zu Ohren gekommen sind - wie viele gibt
es, deren Vernunft für kompetent zur Entscheidung gelten
kann? Und werden diese kompetenten Richter unter
sich einig sein? Wahrhaftig! wenn niemand sich unterstehen
dürfte, über Dinge zu sprechen oder vielmehr
seine Verstandeskräfte an Dingen zu üben, die er nicht
rein bis auf die letzten Gründe sich entwickeln kann, so
gehörte die große Masse der fürstlichen Automaten, des
ungebildeten und ausgearteten Adels, der juristischen
Tröpfe, der Theologen, die ihre Dogmatik nur auswendig
wissen, zu den ersten, denen man Stillschweigen gebieten
müßte, indes nur wahre Weise sprechen und -
was mehr ist - regieren dürften. Neben so vielen Rechten,
welche die Menschen veräußern und übertragen
konnten, um den Vorteil der Vereinigung zu einem
Staate zu genießen, gibt es auch andere, welche ihrer
Natur nach unveräußerlich sind; und unter diesen stehet
das Recht, ihre Geistesfähigkeiten durch Entwicklung,
Übung und Ausbildung zu vervollkommnen, oben an.
Wenn ein Vertrag die Sklaverei gutheißen und den unumschränkten
Willen eines Tyrannen für rechtmäßig erklären
könnte, so darf doch selbst das Leibeigentum,
welches jemand besitzt, ihm nicht zum Vorwande dienen,
seine Sklaven an der Erreichung ihrer Bestimmung
als Menschen zu verhindern. Oder geht die Anmaßung
der Tyrannei so weit, daß sie ihren Opfern auch diese
Bestimmung abspricht? Darf sie im Ernste der Natur so
schrecklich spotten und ohne Hehl den Sklaven zum
Tier herabwürdigen wollen? Darf sie sich das Recht zusprechen,
einem Menschen Vernunft und Menschheit
auszuziehen? Dann rege sich alles, was noch Menschheit
im Busen fühlt, gegen das Ungeheuer, das seine Größe
nur auf Zerstörung baut!
Die politische Lage von Lüttich veranlaßte diese Streiferei
in das philosophische Gebiet und mag sie nun auch
entschuldigen. Du weißt, daß der General von Schlief-
fen* mit sechstausend Mann Preußen seit ungefähr vier
Monaten die Stadt Lüttich und ihre Zitadelle besetzt;
jetzt muß ich Dir erzählen, warum das geschehen sei,
und Du wirst Dich wundem, daß die Sache, von der man
so viel Aufhebens macht, so einfach ist. Der im Jahr
1316 zwischen allen Ständen und Klassen des Lütticher
Volks abgeschlossene Vertrag oder Friede (Paix) von
Fexhe enthält die Grundverfassung dieses Hochstifts.
Wie zu jenen dunklen Zeiten ein Vertrag zustande gekommen
sein mag, dessen Vortrefflichkeit man sogar
mit der britischen Konstitution zu vergleichen wagt, will
ich unerörtert lassen; genug, er ward mit Gewalt errungen
und mit vergossenem Bürgerblute besiegelt und war
nicht das Werk einer allgemeinen, freien, zwanglosen
Überzeugung. Ein mächtiger Bischof, der zugleich Kurfürst
von Köln und Bischof von Hildesheim war, tat im