beflügelt, das Zepter und das flammende Schwert. Wenn
man die größte Anstrengung neuerer Künstler betrachtet,
ist es unmöglich, sich des Gedankens zu erwehren,
wie arm und hilflos in Absicht des Erhabenen und Idea-
lischen sie dastehen würden, wenn sie nicht die Griechen
zu Vorgängern und Mustern gehabt hätten. Dieser
Weltrichter, den Rubens in den furchtbaren Ernst einer
strafenden und belohnenden Gottheit kleiden wollte -
was wäre der unter seinen Händen geworden, wenn uns
keine Bildsäule eines Jupiters oder eines bärtigen Bacchus
übriggeblieben wäre, deren Gesichtszüge und Stellung
sogar er hier kopieren mußte? Das Erborgte dieser
Hauptfigur ist so auffallend, daß es mit der flämischen
Feistigkeit, die tiefer unten herrscht, einen seltsamen
Kontrast bildet; allein was sie noch widriger auszeichnet,
ist der verfehlte Effekt in allen Details, wo der Künstler
es sich erlaubte, von der Antike abzuweichen, um die
Spur seiner Nachahmung zu verdecken. Der theatralisch
aufgehobene rechte Arm stört die ganze Harmonie dieser
Figur und raubt ihr alle Würde. Alles an ihr ist aufgeregt,
ob sie gleich sitzend vorgestellt wird; die linke
Hand macht eine von sich stoßende Bewegung, der linke
Fuß schreitet vor, der rechte ist unterwärts zurückgezogen,
der Kopf rechts hingewandt, und das Kleid schwillt
hoch auf vom Winde, sowohl über der linken Schulter
als hinter dem Rücken. Diese leidenschaftliche Stellung
gibt einen unauslöschlichen Ausdruck von Schwäche; sie
hat nichts von der erhabenen gleichmütigen Ruhe der
Gerechtigkeit, und ein ehrbarer sterblicher Richter auf
einem irdischen Stuhle würde sich ihrer schämen. Ich
begreife wohl, daß Rubens durch diese Bewegung Aufmerksamkeit
erregen, Handlung andeuten, Eindruck machen
wollte; allein eben darin liegt das Versehen, daß er
dies alles durch Gebärdenspiel erzwingen wollte. Er verwechselt
also Seelenausdruck mit Leidenschaft; anstatt
uns beim Gefühl zu fassen, deklamiert er uns vor. Dieser
Fehler ist der flämischen Schule eigen: das bloß Physische
fesselt sie zu sehr, füllt so ganz ihre Einbildungskraft,
daß ihr keine Hermeneutik der inneren Geisteskräfte
möglich ist. Grobe Pathognomik* sieht man zwar
bei diesen Künstlern; Leidenschaft oder auch sinnliches
Gefühl können sie schildern; aber Seelengröße, Erhabenheit,
Gedankenfülle, gehaltene Kraft, Zartheit des
unterscheidenden Sinnes, kurz alles, was den Menschen
adelt, ist bei ihnen das Werk des Zufalls oder einer
höchst seltenen Ausnahme.
Auf demselben Wolkengewölbe mit dem Erlöser, aber
in einiger Entfernung hinter ihm, stehen ihm zur Rechten
Maria mit Petrus und Johannes, zur Linken Moses
mit den Stammeltern des Menschengeschlechts; im Hintergründe
zu beiden Seiten verlieren sich die Heiligen in
großer Anzahl, und über ihren Häuptern kommen viele
Engelsköpfchen zwischen den Wolken hervor. Die bittende
Stellung Mariens verhindert nicht, daß mitten unter
so vielen stehenden Figuren der sitzende Christus
weniger als er sollte in die Augen fällt. Auch die Gruppen
im Vordergründe scheinen ihm etwas von seiner
Größe zu rauben, so richtig übrigens die Perspektive beachtet
sein mag. Es ist sehr viel Talent und Geschicklichkeit
in der Anordnung jener oberen wie der unteren
Gruppen, ihre Maße sind schön und verraten den geübten
Künstler; hier ist indes von Erfindung und von
Dichtung die Rede: ich vermisse den kühnen Schwung
der Phantasie, der diese müßigen Figuren mit Individualität
begaben soll, daß man sie nicht bloß an ihren Attributen,
wie den Petrus an seinen Schlüsseln, den Paulus
am Schwert, den Moses an den Hörnern und den Gesetztafeln,
erkenne. Mitleid und Neugierde malen sich
jedoch in vielen Köpfen. Petrus, Johannes und Moses
scheinen über den richterlichen Zorn zu verstummen,