allen ändern am meisten zu fehlen scheint. Vielleicht hat
es so sein müssen, daß gerade jetzt gewaltsame Bewegungen
von einem Extrem zum ändern eine gefährliche
Stockung in dem großen Gange der Menschheit verhüten;
allein was der Philosoph als unausbleiblich und notwendig
anerkennt, ist darum in seinen Wirkungen nicht
weniger traurig, und allein von der ruhigen, bescheidenen,
ohne alle äußere Gewalt, bloß durch Gründe sanft
überredenden Vernunft ist Rettung zu erwarten. Überall
sind die Leidenschaften aufgeregt, und wo sie immer Gesetze
gebe, da ist jederzeit Gefahr, daß Ungerechtigkeiten
eine Sanktion erhalten, sie mögen gerichtet sein gegen
welchen Teil der bürgerlichen Gesellschaft sie
wollen. Das Volk ist selten zurückhaltender oder billiger
als der Despot: denn moralische Vollkommenheit
konnte ihm ja der Despotismus nicht geben, und mit
welchem Rechte will man Mäßigung von ihm erwarten,
wenn man es geißelt, bis es in Wut gerät und seinen unbarmherzigen
Treiber nun zu zertreten droht? Unter solchen
Umständen ist allerdings die Dazwischenkunft
eines unparteiischen, billigen Dritten die wesentlichste
Wohltat, die einem zerrütteten Staate widerfahren kann.
Weises Nachgeben von beiden Seiten, wozu er sie auffordern
muß, kann alsdann eine dauerhafte Wiederherstellung
bewirken. Allein die schwerste Aufgabe von allen
besteht wohl darin, wie die Stimme der Mäßigung
sich in leidenschaftlichen, aufgebrachten Gemütern Eingang
verschaffen könne. Dies gehört unstreitig zu den
vielen Dingen in der Ökonomie des Menschengeschlechtes,
welche sich durch keine Vorschrift bestimmen
und mitteilen lassen, weil sie ihren besonders dazu
gebildeten Mann erfordern. Von dieser Seite werden die
Schicksale der Erdbewohner von menschlicher Klugheit
immer unabhängig und einer höheren Willkür oder der
Notwendigkeit und ihrer Ordnung unterworfen bleiben.
Welch eine Verkettung nicht vorher zu berechnender
Begebenheiten ist es, die gerade den anspruchslosen, tugendhaften
Mann, dessen höchstes Ziel die Beförderung
des gemeinschaftlichen Besten aller ist, den gründlichen,
durch Erfahrung gebildeten, von allen Theorien zurückgekommenen
Denker in eine Person mit dem politischen
Organ der Könige vereinigt und ihn jene Gewalt,
die, wo sie sich ins Spiel mischt, nur Zwang gebiert, nur
die Symptome ändern, nicht aber die Krankheit heben
kann, mit einer Größe, deren nur die Weisheit fähig ist,
zurückhalten läßt, um die Würde seiner Mitgeschöpfe
zu schonen!
Nicht nach Idealen, die man sich aus philosophischen
Kompendien abstrahieren kann, sondern nach dem Bedürfnisse
der Zeit und der Umstände wird der Wert der
vorgeschlagenen neuverbesserten Verfassung von Aachen
geschätzt werden müssen. Die Ideale aller Art sind,
was schon ihr Name anzudeuten scheint, Schöpfungen
des Verstandes und viel zu zart gewebt, um für die
Wirklichkeit sich zu schicken. Das praktisch Anwendbare
muß aus gröberem Stoffe gebildet, materieller wenn
man will, aber ebendarum natürlicher und menschlicher
sein. Daß ich dabei den Nutzen des Idealisch-Vollkom-
menen in sittlicher Rücksicht nicht verkenne, verbürgt
Dir mein Enthusiasmus für dasselbe in Beziehung auf
Sinnlichkeit und Kunst. Ahnen müssen wir wenigstens
die Vollkommenheit, die wir nicht erreichen; sonst versinken
wir bald in einen Grad der inneren Unempfänglichkeit,
welche unserer höchsten Bestimmung entgegenläuft.
Freiheit und Gesetz sind beide die Heiligtümer
der Menschheit; und dennoch wäre es kurzsichtig geträumt,
dort, wo die Natur Ungleichheit setzte, gleiche
Rechte fordern, oder auf der ändern Seite aus Gerechtigkeitsliebe
das fehlende Geschlecht sogleich vertilgen zu
wollen. Wie tief mußten Menschen nicht sinken, wie un