Was aus Not oder Überdruß am Streite und mit Aufopferung
der eigenen Einsicht sowohl als der eigenen
Rechte entstand, das liegt als unverbrüchliches Gesetz,
als heilig zu bewahrende Form unter dem Siegel des
Vertrages und drückt auf diejenige Hälfte der Bürger im
Staate, die von ihren Rechten das meiste fahrenließ. Waren
nun unter den Punkten, die sie aus Kurzsichtigkeit
versprachen, auch unveräußerliche Rechte, solche nämlich,
deren Aufopferung schlechterdings der Erreichung
ihrer sittlichen Bestimmung widerstreitet, so ist die Verfassung
schon ihrer Natur nach vor dem Richterstuhle
der Vernunft null und nichtig und kann sich nur durch
verübte Gewalt, ohne alles Recht, gegen die bessere Einsicht
behaupten, die der unterdrückte Bürger schon mit
schmerzlicher Erfahrung erkaufen wird. Hier tritt also
der Fall ein, wo das buchstäbliche, verabredete, positive
Recht dem wahren, in den ursprünglichen Denkformen
des Verstandes festgegründeten, natürlichen Rechte widerspricht,
wo also der Zwang, der zur Behauptung des
ersteren verübt werden darf, die Gestalt der Gewalttätigkeit
annimmt und, insofern ein jeder auf seinem Rechte
besteht, nicht von demselben unterschieden werden
kann. Viel muß man zwar gutwillig erdulden, um nicht
durch voreilige Widersetzlichkeit, indem man dem kleineren
Übel abhelfen will, das größere, den Umsturz des
Staats und die gänzliche Auflösung der Bande der Gesellschaft,
zu bewirken. Die Erfahrung lehrt auch, daß
aus Unwissenheit, aus Liebe zum Frieden, aus Trägheit
und Gewohnheit, aus Scheu vor den Folgen, aus religiösem
Vorurteil unendlich viel geduldet wird. Die Erfahrung
lehrt wohl noch mehr. Durch sie werden wir inne,
daß, solange die Gebrechen des Staats noch nicht zu
einer unheilbaren und dem blödesten Auge sichtlichen
Krankheit herangewachsen sind, es ungleich leichter ist,
den einmal vorhandenen Umschwung der Staatsmas
chine zu erhalten, als ihn gänzlich zu hemmen und eine
andere Bewegung an seiner Stelle hervorzubringen. Das
Geheimnis aller anmaßenden Regenten, auf dessen Un-
trüglichkeit sie getrost fortsündigen, liegt in dem Erfahrungssatze,
daß der Mensch, der einmal ein unveräußerliches
Recht aus den Händen gegeben hat, sich
unglaublich viel bieten läßt, was er als Freier nimmermehr
geduldet hätte. Er fühlt sich ohnmächtig gegen die
herrschende Gewalt; wo er hinblickt, sieht er seine Brüder
erniedrigt wie sich selbst, durch Vorurteil und Sklavenfurcht
und Anhänglichkeit an das Leben vielleicht
schon außerstande, zu ihrer Befreiung zu wirken; endlich
sinkt er selbst in seiner eigenen Achtung durch die
Verleugnung seines Verstandes, oder er zweifelt, daß
eigene Empfindung und Einsicht ihn richtig leiten,
wenn er einsam dasteht und niemand auf seinem Wege
erblickt, der ihn verstände.
Die Gebrechen einer Staats Verfassung können indes
ebensowohl auch ohne eine heftige Erschütterung behoben
werden, wenn man sich in Zeiten guter Vorbau-
ungsmittel bedient und unvermerkt dem ganzen Staate
die rechte Richtung nach seinem wahren Ziele sittlicher
Vervollkommnung gibt. In Despotien haben wir das Beispiel,
daß weise Regenten es ihre vorzügliche Sorge sein
ließen, die bürgerliche Gesetzgebung zu vervollkommnen,
und sich dann selbst den neuen Kodex zum unverbrüchlichen
Gesetze machten, damit auch einst, wenn
eingeschränktere Einsichten den Staat regieren sollten,
die Richtschnur vorhanden sein möchte, um ihnen ihren
Weg vorzuzeichnen und das Gefühl von Recht und Unrecht
bei dem Volke zu schärfen. Allmählich bilden sich
in solchen mit Weisheit beherrschten Staaten neue, von
der obersten Gewalt immer unabhängigere Kräfte; die
verschiedenen Volksklassen dürfen die ihnen im Gesetze
zugestandenen Vorrechte behaupten; der Wohl