Die Hummel No. i schenkte der No. 2 nicht die geringste Beachtung und leistete
derselben absolut keine Hilfe in ihrer schwierigen Lage, obgleich sie sich sehr viel in
der Nähe der No. 2 zu schaffen machte. Ebenso fiel es ihr nicht ein, die neue Gefährtin
zu füttern. Ich reichte der No. 2 ein Röhrchen mit Honig, von welchem sie ein wenig
genoß. No. 1 berührte im Vorbeigehen No. 2 mit ihren Fühlern wie jeden anderen Gegenstand
und ging vorüber.
Ohne auf weitere Einzelheiten der Lebenstätigkeit der in Frage stehenden Hummeln
einzugehen, will ich hier nur einen Umstand erwähnen, welcher von Interesse
ist. Ich habe bereits mitgeteilt, daß die Hummel No. 1 eine Wachszelle (celi) erbaut
hatte. Während dies geschah, hatte die Wabe die ganze Zeit über mit ihrer oberen
Seite nach unten zu gelegen (so daß die Öffnung des Kokons v.r, aus welchem die Hummel
No. 1 gekrochen war, nicht gesehen werden konnte); nach Beendigung der Arbeit wandte
ich die Wabe in die Lage, wie sie auf Taf. I, Fig. 16 zu sehen ist. Als die zweite Hummel
ausgekrochen war, machten sich beide zusammen daran, die Wachszelle auszubessern; sie
nahmen deren Deckel (den früheren Boden) ab, was sehr rasch von statten ging, da die
Arbeit an der Öffnung des Kokons eine gewohnte instinktive Tätigkeit der Hummeln darstellt;
als Jedoch der obere Teil hinweggenommen war und ein auf beiden Seiten offener
Wachscylinder entstand (wie er auf Taf. ;I, Fig. 16 celx dargestellt ist), so wußten die Hummeln
nicht mehr, was sie tun sollten: in den Instinkten war ein solcher Fall nicht vorgesehen.
Schließlich überließen sie ihn seinem Schicksale und bauten eine neue Wachszelle cel2.
Außer der Beobachtung isolierter Hummeln wird die Handlungsweise dieser Insekten
besonders auch durch diejenigen Tatsachen „psychisch“ charakterisiert, die mit der Vernichtung
der Eier und Larven durch die Arbeiterinnen im Zusammenhänge stehen.
Die Instinkte der Sorge um die Nachkommenschaft sind bei den „sozialen“, aus
mindestens drei „Kasten“ zusammengesetzten Insekten bekanntlich entweder nur zwei oder
ga r nur einer Kaste eingepflanzt; in letzterem Falle ist nicht das W e ib ch en , d. h.
die Mutter, mit diesem Instinkte versehen, von welcher natürlich eigentlich die Rede
sein sollte, wenn es sich um mütterliche Gefühle handelt, sondern Individuen, w e lc h e
niemals Mütter gewe sen sind. Die Bedeutung dieser Tatsache tritt mit besonderer
Schärfe hervor, wenn wir in Betracht ziehen, daß diese Individuen eigentlich auch nicht
mit einer mütterlichen oder brüderlichen Liebe begabt sind, sondern mit einem solchen
Instinkte, bezüglich dessen wir im unklaren sind, was wir eigentlich vor uns haben:
Altruismus, Anhänglichkeit, Zuneigung oder im Gegenteil: Instinkte der „Grausamkeit“, des
„Brudermords“, welche die „liebevoll aufziehenden“ Arbeiter unter gewissen Bedingungen
dazu anregen, ihre „innig geliebten Pfleglinge“ ihrem Schicksale zu überlassen.
Wir wenden uns nunmehr zu der Betrachtung dieser Erscheinung.,
Die Vernichtung der Larven durch die Hummeln und ihre Bedeutung.
Das Geschehnis steht mit der Auffassung der Psyche bei den gesellig lebenden Insekten,
als Tieren, welche erfüllt sind von gegenseitiger Sympathie und „aufopfernder Liebe
zu ihren Kindern“, so sehr im Widerspruche, daß es von den Autoren entweder den geheimnisvollen,
unerklärbaren Erscheinungen zugezählt, oder aber mit solchen Ausdrücken
dargestellt wird, wie dies zum Beispiel durch Roman es geschehen ist: „Bei der Annäherung
des Herbstes entbrennt bei den Wespen plötzlich ein Gefühllg5des Unwillens
gegen die noch unentwickelten Larven und Puppen, infolgedessen diese letzteren
denn auch samt und sonders vernichtet werden“ ; diese Ausdrücke sind augenscheinlich
nicht dazu angetan, Aufklärung über die Sache zu geben, sondern verwickeln dieselbe im
Gegenteile noch mehr.
Indem ich zu der Erklärung dieser Erscheinung übergehe, will ich vorweg bemerken,
daß meine Beobachtungen hauptsächlich an Hummeln ausgeführt wurden, welche
in an den F ens te rn an g eb ra ch ten Stöcken lebten und stets einen freien Ausflug
hatten; wonach die Frage entsteht, ob für die freilebenden Stöcke durchaus dasselbe gilt.
Ich glaube diese Frage bejahen zu dürfen, und zwar aus mehreren Gründen. Vor allem will
ich bemerken, daß im Jahre 1902 alle Hummelfamilien wenig zahlreich, bisweilen sogar
auffallend arm an Mitgliedern waren. Vergleicht man diese Familien mit denjenigen des vorhergehenden
Jahres, so kann man unbedingt sagen, daß die Familien bei Bombus terrestris,
lapidarius und muscorum an Zahl der Individuen den vierten Teil der vorjährigen Familien
nicht übertrafen. Zur Zeit des Auskommens der Weibchen und Männchen, d. h.
gegen Ende Juli, bestand eine Familie von Bombus lapidarius aus etwa 60 Individuen,
während im vorhergehenden Jahre einige Familien die Zahl 400 erreichten. Die Ursache
dieser Erscheinung war ausschließlich auf Futtermangel zurückzuführen, indem der Sommer
des Jahres 1902 im Kreise Tarussa des Gouvernements Kaluga, wo ich meine Beobachtungen
anstellte, außerordentlich regnerisch und kühl war. Es kam vor, daß die Hummeln im
V e r la u fe gan zer Wochen weder im W ald e n och a u f den W ie s en zu seh en
waren. 444* Außerdem sind Von mir einige Fälle vermerkt, wo Hummellarven neben ihrem
Neste im F r e ie n aufgefunden wurden, welche offenbar von den Hummeln während
dieser Zeit aus dem Neste geworfen worden waren.
Die Vernichtung der Larven bei den Hummeln unterscheidet sich von der gleichen
Erscheinung bei den Bienen und Wespen. Die Bienen vernichten nur die Drohnenlarven
gleichzeitig mit den Drohnen selbst. Die Wespen vernichten sowohl die Larven der Drohnen
als auch diejenigen der Arbeiterinnen beim Eintritt des Winters, doch unterliegt es keinem
Zweifel, daß sie dieselben ausnahmsweise auch während des Sommers umbringen. D ie
Hummeln d a g e g en v e r t ilg e n La rv en a l le r A r t und zu je d e r Z e it de s Sommers.
Die Vernichtung der Larven ist demnach bei den Hummeln weder an eine Zeit, noch
an ein Geschlecht gebunden; bei den Wespen steht es in Verbindung mit der Jahreszeit, bei
den Bienen mit dem Geschlecht.
Auf welche Weise erfolgt nun diese Vernichtung der Larven bei den Hummeln, und
finden sich darin vielleicht Züge, die uns auf den wahren psychologischen Sinn der Erscheinung
hinweisen könnten? Nachstehend teile ich Tatsachen mit, die ich während einer
ganzen Reihe von Jahren beobachtet habe.
Ich beginne mit den auswandernden Larven. Hierunter verstehe ich solche Larven,
welche infolge von Futtermangel (vielleicht aber auch aus anderen Gründen) aus den Larven