Durch auf wissenschaftlicher Grundlage ängestellte Beobachtungen und Versuche
kommen wir zu der unanzweifelbaren Schlußfolgerung, daß bei den gesellig lebenden Bienen
weder gegenseitige Liebe, noch Anhänglichkeit, noch Verständnis dafür, was sie tun, indem
sie ihre Brut pflegen, vorhanden ist; wenn dem aber so ist, was kann dann das Erziehen
von Zehn- und Hunderttausenden von Eiern des Weibchens, welches jede Fähigkeit außer
der Eiablage eingebüßt hat (und nach den Worten derselben Autoren zu einer Art Legeapparat
geworden ist), was kann diese Erscheinung anderes darstellen, als nur eine spezielle
Form von Parasitismus der Weibchen und Männchen auf Kosten der sogenannten Arbeiterinnen
?
Die b io lo g is ch e B ed eu tu ng der großen Zahl von Eiern bei den gesellig lebenden
Insekten ist nun offenbar die gleiche, wie bei den Parasiten überhaupt: immer liegt
diese Bedeutung darin, daß die A u fo p fe ru n g V ie le r notwend ig ist, um das Leben
W en ig e r zu erhalten.
Es ist hierbei von Interesse, daß die Zahl der Eier sich nach dem Grade der Untätigkeit
der Weibchen und Männchen richtet. Je geripger die Aktivität der letzteren und
damit auch die Rolle, die sie in der Lebenstätigkeit der Art spielen, um so größer ist die Zahl der
von dem Weibchen abgelegten Eier. Bei den Honigbienen erinnert das Weibchen gewissermaßen
an einen Hermaphroditen, welcher die intensive Arbeit von Tausenden von Arbeiterinnen
durch seine Fruchtbarkeit niederdrückt.
4) Die In s tin k te der so gen an n ten „soz ialen “ Insek ten e rs ch e in en im
V e r g le ic h e mit d en jen ig en der so litä ren Insek ten als reduziert.
Zu solchen reduzierten Instinkten bei den Weibchen der Hummeln gehört selbstverständlich
deren Benehmen bei einer Gefahr, die das Nest und die Familie bedroht: nicht
nur greifen die Weibchen niemals die Feinde an, sondern sie verteidigen sich sogar höchst
selten. Für gewöhnlich eilen die Weibchen, sich zwischen den Waben zu verstecken, und
wenn sie bis hierher verfolgt werden, so verlassen sie die Waben und versuchen sich im
Moose des Nestes zu verkriechen. Eine Tätigkeit legen sie nur den Individuen ihrer Familie
und namentlich anderen Weibchen ihrer Art gegenüber an den Tag.
Eine solche Veränderung der Instinkte des Weibchens erscheint, wie auch jede Anpassung
überhaupt, natürlich als sehr zweckmäßig, indem es durchaus nicht vorteilhaft für
die Art ist, das Leben des Weibchens für die Verteidigung des Nestes aufs Spiel zu setzen;
ihren reduktiven Charakter büßt diese Anpassung infolge' ihrer Zweckmäßigkeit jedoch
natürlich nicht ein.
Bei den echten Parasiten, als welche die Psithyrus anzusehen sind, geht diese Reduktion
noch viel weiter: bei der geringsten drohenden Gefahr verstecken sich die Psithyrus;
bei weiterer Beunruhigung fliegen sie aus dem Neste davon, indem sie die darin abgelegten
Eier sowie die aus letzteren hervorgegangenen Larven im Stiche lassen.
Ich möchte hier noch auf einen weiteren, in diesem Sinne charakteristischen Zug in
der Tätigkeit der Weibchen hinweisen. Die jungen (wie übrigens auch die alten) Weibchen
führen, indem sie aus dem Neste herausfliegen, gewisse Manöver aus, um sich i'den Ort
des Nestes einzuprägen; sie tun dies viel länger und „gründlicher“ als die Arbeiterinnen,
und trotzdem haben sie bei der Heimkehr mehr Mühe, dieses Nest wieder aufzufinden, als
die Arbeiterinnen: es ist dies offenbar nicht ihre spezielle Beschäftigung. Die Weibchen
fliegen beständig an dem Neste vorbei, lassen sich auch auf den Boden nieder, geraten
mitunter in fremde Nester u. s. w., während die Arbeiterinnen schon längst den richtigen
Weg erkannt haben und direkt und ohne sich zu irren auf ihr Ziel zufliegen.
In gleich überzeugender Weise sprechen auch die Bauinstinkte für die Reduziertheit
der Instinkte bei den sogenannten sozialen Insekten.
Es ist sehr .merkwürdig, wie die althergebrachte Auffassung von den hohen psychischen
Eigenschaften dieser Insekten auf die Bewertung aller Seiten ihres Lebens eingewirkt
hat und wie infolgedessen die Autoren einen Fortschritt da zu erkennen glauben, wo in der
Tat ein Rückschritt vorliegt.
Indem z. B. v. B u ttel-R e ep en von den Tatsachen ausgeht:
1) daß die Hummeln ihre Wohnungen aus vegetabilischem Materiale erbauen, welches
sie herbeischaffen und nur hier und dort mit Wachs verkleben,
2) daß die Melipona-Arten bereits unvergleichlich mehr Wachs für ihre Bauten verwenden,
welche§&|ie außerdem mit Harz vermischen, und
! daß die Bienen zu ihren Bauten ausschließlich Wachs verwenden -
erhebt er den Überfluß oder den Mangel an Baumaterial, das vom Organismus selbst aus-
geschieden wird, zu einem genetischen Prinzipe. Je mehr ' von solchem selbsterzeugten
Materiale vorhanden ist, d. h. je weniger Material von auswärts herbeigetragen wird, um so
höher steht nach der Ansicht v. Buttel-Reepens die Geselligkeit der betreffenden Insektenart.
Eine lange Reihe unbezweifeibarer Tatsachen liefert dagegen den Beweis dafür, daß
eine derartige Schlußfolgerung des Autors nicht richtig ist; diese Tatsachen legen Zeugnis
dafür ab, daß je g e r in g e r die Menge des vom eigenen Organismus ausgeschiedenen
Materiales ist, die das Insekt für einen Bau verwendet, desto höher die In s t in k te
des Baume iste rs entwickelt sind und desto höher die Stellung ist, welche er auf dem
Gebiete der Industrie einnimmt.
v. B u ttel-R e ep en weist selbst darauf hin, daß ein Insekt eine Unmenge Nahrung
zu sich nehmen muß, um ein gewisses Quantum von Wachs hervorzubringen, und doch
redet er andererseits von einem Fortschritt, der in dieser Erscheinung liegen soll.
V o n se in em S ta n d p u n k te , d. h. von der vorgefaßten Meinung ausgehend, daß
es4 eine — von den freilebenden Vertretern über solche mit schwach ausgesprochener
Geselligkeit bis zu der höchsten Staatenform dieser Geselligkeit bei den Bienen — ansteigende
genetische Reihe gibt, kann v. B u ttel-R e ep en auch gar nicht anders als davon
reden. Dabei ist dieser Grundsatz bei v. B u ttel-R e ep en (sowie, wenn ich nicht irre,
auch bei allen anderen Förschern) so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß es ihm
nicht einmal einfällt, nachzuprüfen, inwieweit z. B. der Ersatz fremden Materiales durch Ausscheidungen
des Organismus bei der Ausführüng von Bauten in der Tat auf einen Fortschritt
hinweist. Die Bauten der freilebenden Formen des gesamten Tierreiches, von den
Foraminiferen angefangen bis zu den' Vögeln, hätten ihm ein außerordentlich reiches Material
für die,Lösung dieser Frage im entgegengesetzten Sinne geboten.1
! Aber so groß ist nun einmal die Macht des Vorurteils: bei den Bienen sehen wir
reines Wachs, bei den Hummeln fremdes Material; da nun die Geselligkeit der Bienen eine
« Meine eigenen Untersuchungen bezüglich dieser Frage habe ich in zwei Arbeiten mitgeteilt: „ L ’industrie des
Araneina“ und „Die Stadtschwalbe» (Mdmoires Acad. Imp. S c . St. Pdtersbourg VHIe s 6 r . , g jX . |io. 6).