um so mehr, als hier die Parthenogenese nicht einen progressiven, sondern einen regressiven
Chärakter aufweist.1
Ziehen wir nach alledem in Betracht, daß der Ursprung des Parasitismus ein sehr verschiedenartiger
ist, daß der Parasitismus sehr selten bei den Mollusken und den Wirbeltieren angetroffen
wird, bei den Würmern und Gliedertieren dagegen eine äußerst weite Verbreitung
hat, endlich daß die Parthenogenese mit dem regressiven Charakter, welchen sie bei den
Insekten zeigt, zu dieser oder jener Reduktion des normalen Typus der betreffenden Tiere
führt,2 psl- ziehen wir alles dieses in Betracht, so gibt es uns eine neue Berechtigung, die
Geselligkeit der sogenannten „sozialen“ Insekten als eine Erscheinung der Symbiose anzusehen,
welche den Charakter eines echten Parasitismus trägt.
3) Die a u ß e ro rd en t lich e F r u c h tb a r k e i t d e r W e ib c h e n b e i den s o g e nannten
so z ia len Insekten.
Diese Erscheinung, welche für freilebende Formen durchaus anormal, für Parasiten
‘ A n m . Schon H ä c k e 1 hat darauf hingewiesen, daß in der Erscheinung d er Heterogonie zwei Reihen
zu unterscheiden sind, e i n e p r o g r e s s i v e und e i n e r e g r e s s i v e ; zu der ersteren gehören diejenigen Fälle,
wo die Heterogonie einen der Momente in dem sich entwickelnden Übergang von der ungeschlechtlichen Fortpflanzung
— der Monogonie, zu der geschlechtlichen Fortpflanzung — der Amphigonie repräsentiert. Die Vorfahren der eine
solche Monogonie aufweisenden T ie re pflanzten sich nicht ausschließlich au f geschlechtlichem Wege fo r t, und die
Parthenogenese stellte bei ihnen eine Form der Fortpflanzung d a r , welche viel mehr v erbreitet w a r , als in gegenwä
rtiger Zeit. A u f die an de re, regressive Reihe bezieht H ä c k e l die Fälle der Rückkehr von der Amphigonie zu der
Monogonie,' eine Erscheinung, welche an Atavismus erinnert. Die Tiere, bei denen diese Form der Monogonie beobachtet
wird, haben seinerzeit jenen W e g bereits ganz zurückgelegt, dessen progressive Entwicklung w ir bei den Tie ren der ersten
Gruppe sehen; allein sie sind, unter der Einwirkung gewisser Bedingungen, wiederum zu einer einstmals bei ihnen herrschenden
Fortpflanzungsweise zu rückg ekeh rt, ähnlich wie das dreizehige Pferd Caesar’s (vo rausgesetzt, daß ein solches
wirklich exis tiert hat) einen Rückschlag zu Merkmalen der Vorfahren bedeutet. Zu dieser Gruppe von Tie ren mit regressiv
er Heterogonie stellt H ä c k e l auch alle jene T ie r e , welche einen regelmäßigen Wechsel zwischen geschlechtlicher
(Amphigonie) mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung (Parthenogonie) darbieten.
D e r Gesichtspunkt, von welchem Häckel diesen Gegenstand betrachtet, erscheint mir v on ganz besonderem Interesse
, trotz der zweifellos künstlich gezogenen Grenze zwischen der geschlechtlichen und d er ungeschlechtlichen F o r tpflanzung,
was ja auch von dem Au to r selbst zugegeben wird. (Häckel. Generelle Morphologie. 2 Bde. 1866.)
W e i s m a n n behandelt diese F ra g e bekanntlich in etwas anderer W e is e , allein e r hält den Gedanken von
H ä c k e l , mit gewissen Einwürfen allerdings, aufrecht. D e r Autor unterscheidet in der Heterogonie zwei Gruppen, von
welchen er die eine als M e t a g e n e s e , die andere als H e t e r o g o n i e bezeichnet.
D i e M e t a g e n e s e k a n n e i n e p r im ä r e E r s c h e i n u n g s e i n , wenn (wie bei den Hydromedusen und
Trematoden) die niedrigsten Entwicklungsstadien stets die Fähigkeit besessen haben, sich au f ungeschlechtliche W eise fortzupflanzen
(Ammenz'eugung) ; sie kann ab er auch sekundärer Natur sein, wenn (wie bei den La rven einiger Cecidomyiden)
die ungeschlechtliche Fortpflanzung eine neu erworbene Fäh igkeit darstellt (bei anderen Arten der Cecidomyiden besitzt
die L a rv e diese Fähigkeit nicht). Hier is t die Metagenese aus der Metamorphose entstanden. Man erkennt unschwer,
daß die primäre Metagenese W e i s m a n n ’s ihrem Wesen nach der progressiven Reihe in der Heterogonie be i H ä c k e l
entspricht.
Was die Heterogonie nach W e i s m a n n b etrifft, so entspricht dieselbe augenscheinlich d er regressiven Reihe
H â c k e l ' s .
D ie H e t e r o g o n i e is t eine Form des Generationswechsels, welche dadurch entstanden ist, daß anfänglich ganz
gleich gebaute Generationen unter dem Einflüsse von periodisch wirkenden äußeren Ursachen zu d er Bildung von Generationen
veranlaßt wurden, von denen, eine oder mehrere gewisse Eigentümlichkeiten in der Organisation oder in der
Vermehrungsweise erlangten. Aus dem soeben Gesagten geht von selbst hervor, d a ß d i e P a r t h e n o g e n e s e d e r „ g e s
e l l i g l e b e n d e n “ H y m e n o p t e r e n F ä l l e e i n e r r e g r e s s i v e n R e ih e im S i n n e v o n H ä c k e l o d e r F ä l l e
v o n H e t e r o g o n i e im S i n n e v o n W e i s m a n n d a r s t e l l t . (A. W e i sm a n n . Studien zur Descendenztheorie.
1. Ueber den Saisondimorphismus der Schmetterlinge. Le ip z ig 1875.)
* A n m . Obgleich Y v e s D e i a g e , und zwar natürlich nicht ohne eine gewisse Berechtigung, behauptet, daß die
Parthenogenese „pa s plus que la Génération sexuelle ou l’Auto-fécondation n’ a b o u t i t f a t a l e m e n t (mein Sperrdruck !)
à la dégénérescence d e la race e t que l’Amphimixie n’e st pas une nécéssité absolue des organismes“ — so wird man diesem
Auto r doch nur mit gewissem Vorbehalte Re cht geben können. ( Y v e s D e i a g e , L a s tructure du protoplasma e t les
théories sur l'hérédité. 1895.)
dagegen außerordentlich charakteristisch ist, bildet ein weiteres ’ Argument für die soeben
ausgesprochene Schlußfolgerung bezüglich der Eigenschaft der Geselligkeit bei den Insekten.
Eine derartig außergewöhnliche Fruchtbarkeit, — wie wir sie bei keiner einzigen solitären
Biene und ebensowenig bei irgend welchen Vertretern der echten Geselligkeit im ganzen
Tierreiche antreffen, — bildet bei den Insekten das charakteristischste Merkmal der parasitischen
Lebensweise.
Nachfolgend teile ich einige Daten mit, die das Gesagte bestätigen. Während die
Zahl der Eier bei den einsam lebenden Bienen, sowie bei denjenigen, wo wir echte Geselligkeit
beobachten, sich nur auf einige Dutzende beläuft, erreicht diese Zahl bei den
„sozialen“ Bienen mehrere Zehntausende (so z. B. bei Apis dorsata bis zu 70000 Stück)
und bisweilen sogar Hunderttausende (wie z. B. bei Apis mellifica).
Diese ungeheure Anzahl von Eiern würde uns selbst ohne irgend welche andere
Betrachtungen allein schon dazu berechtigen, das Vorhandensein von Parasitismus bei diesen
Insekten vorauszusetzen; zwingt sie uns doch zu der Frage, a u f w e s s en K o s ten diese
Menge zukünftiger Larven aufgezogen und ernährt werden kann? Auf diese Frage kann
es nur zwei Antworten geben: entweder, daß das Aufziehen einer solchen Menge von Eiern
einen Fall von echtem Parasitismus der Bienenmännchen und -weibehen auf Kosten der sogenannten
Arbeiterinnen darstellt; oder ab e r, daß wir hier nicht etwa eine biologische
Erscheinung mit allen ihren auf natürlichem Wege im Kampfe ums Dasein .festgelegten
charakteristischen Merkmalen (und dabei ohne die geringste Teilnahme eines Bewußtseins,
weder von seiten der Wirte noch von seiten der Parasiten) vor uns haben/ sondern vielmehr
einen Fall hoher psychischer Entwicklung einer „Gemeinschaft“, deren Glieder sich bewußt
und freiwillig dem allgemeinen Wohle zum Opfer bringen.
Es ist sehr merkwürdig, daß es noch niemandem eingefallen ist, die Frage in der zuerst
angegebenen Weise zu lösen; noch merkwürdiger ist es aber, daß die zweite Art der
Lösung nicht nur von solchen Autoren angewendet wird, die den Bienen sowohl menschliche
Emotionen als auch menschliche Geistesfähigkeiten zusprechen, sondern auch von
solchen, die das. Vorhandensein dieser wie jener bei den Bienen bestreiten.
Ich kann es begreifen, wenn ein Autor, nachdem er den Bienen menschliche Eigenschaften
zugesprcchen hat, über die Einbildung bei den Bienen, über bewußte Beschränkung
der eigenen Individualität im Interesse. der Gesellschaftlichkeit, über Laster der Bienen und
deren Abgewöhnung, über Chemiker, Steinmetze, Bildhauer, Mathematiker, Totengräber,
Wächter und andere Gewerbe im Bienenstöcke, endlich über eine bei den Bienen höher als
bei den Menschen entwickelte Sittlichkeit spricht, wobei diese; Sittlichkeit sich für jeden
Stock als eine verschiedenartige erweist, indem bei einigen Völkern die Begriffe der Achtung
vor fremdem Eigentum u. s- :w. verloren gegangen sind.
Es ist mir jedoch völlig unerklärlich, wie es. möglich ist, daß man gleichzeitig (und
zwar mit vollem Rechte) den „sozialen“ Bienen das Vorhandensein von Mutterliebe, von
Altruismus, von Fähigkeiten des Verstandes abspricht, nachdem man ihre gesamte Tätigkeit
in Bezug auf die gegenseitigen Beziehungen zueinander als .eine Folge vererbter und
genau fixierter Instinkte erkannt hat, und trotzdem unter solchen Bedingungen in der Symbiose
der Bienen und Hummeln eine hoch entwickelte Form der Geselligkeit sehen kann!?
Zoologica. Heft 46. 28