dem sie dieses Wegfliegen mehrere Male nacheinander wiederholt haben, betreten sie endlich
„das Nest“ von derjenigen Seite, wo sich früher das Flugloch befand und beginnen
ihre Nachsuchungen. Das Nest selbst ist nicht mehr vorhanden, aber die unzählige Male
auf ihre Richtigkeit hin geprüften leitenden Punkte geben an, daß das Nest gerade hier
sein muß, wohin die Hummeln bereits Dutzende von Malen, von den leitenden Punkten zurechtgewiesen,
geflogen gekommen waren und sie fliegen wieder und wieder!
Man kann demnach als erwiesen betrachten, d a ß d ie H umme ln ih re N e s te r
sehr s ch le ch t sehen und sich nur deshalb auf d ie selb en n ied e r la s sen , w e il
jene le itend en Punkte zu ihnen füh ren, w e lc h e d ie Hummeln a u f e in e b e stimmte
A r t und W eise bei dem A u s flu g e aus dem Nes te gu t wahrnehmen.
Mit anderen Worten: Die Hummeln kennen ihr Nest als einen Gegenstand mit bestimmten
Merkmalen nur sehr unvollkommen, und dies natürlich infolge ihres nur sehr unvollkommenen
Sehvermögens. Als Indikator in der Lösung der Frage über die Lage des Nestes
dient ihnen nicht etwa das Nest selbst mit seinen Merkmalen, sondern die Stelle, wo es'
sich befindet, wohin die Hummeln durch die „leitenden Punkte“ geführt werden, welche sie
sich unter den das Nest umgebenden Gegenständen wohl gemerkt haben.
D ie se Punkte nun sind nicht das R e su lta t eines bestimmten, von g e wissen
G egen stän den h e r v o rg e b ra ch ten E in d ru ck e s , wie ich dies b e r e i t s
h e rvo rg eh o b en habe, sondern sie rep rä sen tie ren o ffen b a r die Summe gleichzeitig
von lin k s und re ch ts auf der L in ie des W eg e s ih re r R ü c k k e h r n ach
dem A u s flu g e zum Nes te em p fan gene r, verschiedener (und daher naturgemäß undeutlicher)
Eind rücke .
Es erübrigt noch einige Worte darüber zu sagen, was diese Einprägungen der leitenden
Punkte, vom psychologischen Gesichtspunkte aus betrachtet, darstellen: erscheinen sie
jedes einzelne Mal als ein Akt der Anpassung an neue Lebensbedingungen der Hummeln,
nachdem deren Nest aus dem Walde oder Felde in ein Zimmer übergeführt wurde, oder
aber ist in diesen Erscheinungen des Einprägens nichts Neues enthalten?
Um eine Antwort auf diese Frage geben zu können, muß man unsere Bemerkungen
über das, was die PIummein sich bei ihrem Ausfluge aus dem Neste für die bevorstehende
Rückkehr eigentlich einprägen, berücksichtigen. Im Zusammenhänge mit diesen
Angaben wird man sich ferner der Beobachtungen über das Leben der Hummeln unter
den gewohnten Bedingungen ihres Lebens erinnern müssen. Diese Beobachtungen beweisen
uns, daß die Hummeln mehr als einmal in ih rem Leb en sich die leitenden Punkte
behufs Feststellung der Lage ihres Nestes einzuprägen haben. Die Fälle von Lageveränderungen
des Nestes im Zimmer, in so engen Grenzen dieselben auch unserer A n s ich t
nach vorgenommen werden, bedeuten, vom Standpunkte der Hummel-Psychologie betrachtet,
genau das gleiche, wie die Überführung dieser Nester aus dem Wald auf das Fenster oder
in ein Zimmer unseres Wohnhauses. Unter natürlichen Verhältnissen sind aber Lagever-
änderungen des Nestes durchaus nicht so ausnehmend selten, wie man mit Hinblick auf
seine scheinbar unbewegliche Anlage vermuten könnte. Ich will hier, um ein Beispiel zu
geben, auf einen derartigen Fall hin weisen. Einst fand ich ein merkwürdig kleines
Hummelnest (Fig. 50, N2) von Bombus muscorum. Die Arbeiterinnen und Weibchen
flogen darin aus und ein genau wie in einem normalen Neste, Ich öffnete das Nest
und fand darin statt der üblichen Wabenmasse nur ein kleines Bruchstück derselben.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Nest aus der Zerstörung eines hier kürzlich
vorhandenen normalen Nestes hervorgegangen war. Als ich mich umsah, fand
ich in einer Entfernung von etwa drei Schritten ein anderes, noch kleineres Nest
(Fig. 50, N3) mit Hummeln, aber ohne Waben, sowie den Platz, wo das Nest ursprünglich
angelegt worden war (Fig. 50, Nj). Es war nicht schwer zu begreifen, daß der Zerstörer
des Nestes (wahrscheinlich ein Hund) während
seiner Arbeit die Teile von Waben und Bau- 1 3^3 ^2
material auf ziemlich weite Entfernung von
dem ursprünglichen Standorte des Nestes
herumgeworfen hatte. Die am Leben gebliebenen
Hummeln sammelten sich bei den
ganz gebliebenen Bruchstücken und legten
sich Nester an, in welchen sie wohnten.
Derartige (freiwillige und unfreiwillige) Übersiedelungen der Hummeln sind, wie ich
bereits hervorgehoben habe, durchaus keine ausnahmsweisen, seltenen Erscheinungen, und
deshalb mußte sich bei den Hummeln eine Vorkehrung herausbilden, mit Hilfe deren sie
den neuen Bedingungen der Lage ihres Nestes Rechnung tragen und dasselbe auffinden
können.
Eine Lageveränderung der Wohnung der Hummeln ist demnach auch im freilebenden
Zustande dieser Insekten möglich. Bei der Abschätzung der genannten Erscheinung darf
auch nicht vergessen werden, daß die das Nest umgebenden und als le itend e Punkte
dienenden G egen s tän d e durchaus nich t b e s tän d ig e r Natur sind, sondern sich
fortw äh ren d verän de rn : die anfangs niedrige und wenig dicht stehende Vegetation wird
mit der Zeit höher und treibt Blüten; nach dem Mähen verschwindet sie und da, wo sich vorher
ein glatter grüner Teppich ausbreitete, erscheinen jetzt Haufen von Heu. Im Walde ist ein
Baum gestürzt und hat sich neben das Nest gelegt; an einer Stelle ist das grüne Gras gelb
geworden, an einer anderen hat es sich mit trockenem Laube bedeckt; die grünen Gebüsche
haben sich im Frühjahre in weiße, im Frühherbste in rote verwandelt. Der Bauer
hat auf dem Schober, wo noch am Tage zuvor Gras neben dem Neste wuchs, Getreide aufgehäuft
oder über einem Heuhaufen ein Schutzdach errichtet u. s. w. u. s. w.
Aus alledem folgt, daß die Besichtigung der Umgebung des Nestes durchaus keine
außergewöhnliche, mit einer neuen Lage des Nestes in der Gefangenschaft in Verbindung
stehende Erscheinung ist, sondern eine allgemein gültige Regel darstellt.
Auf die Frage* ob der Prozeß des Im- Gedächtnis - Bewahrens der Nestlage bei den
Hummeln eine nur in der Gefangenschaft zu beobachtende Erscheinung repräsentiert, welche
als eine Anpassung an neue Lebensbedingungen aufzufassen ist, müssen wir demnach im
verneinenden Sinne antworten: diese Erscheinung ist bei den Hummeln auch unter den
Bedingungen des Lebens in der Freiheit eine ganz gewöhnliche.
Und was stellt denn eigentlich die Psychologie dieses Prozesses dar?
Sie ist sehr anspruchslos und setzt sich zusammen aus den Elementen eines Gedächtnisses,
welches befähigt ist, eine sehr geringe Anzahl von Gegenständen innerhalb der