daß wenn die Vernichtung der Eier und Larven in der Absicht geschähe, einen „guten
Bissen“ zu ergattern, die Aussaugung so fo r t vorgenommen würde, sowie die Hummel des
Eies oder der Larve habhaft wird. Das ist jedoch niemals der Fall. So fügt denn diese
Zufälligkeit noch einen neuen, charakteristischen Zug zu der Psychologie der „Mutterliebe“
bei den Hummeln und der Psychologie ihres in der Pflege der jungen Nachkommenschaft
sich äußernden „Altruismus“ .
Fragen wir nunmehr nach den U rsach en der Larven Vertilgung. Ich habe bereits
darauf hingewiesen, daß die Vernichtung von Larven stets dann eintritt, wenn die Hummeln
aus irgend einem Grunde der Möglichkeit beraubt sind, den Eierzellen und Larven Nahrung
in genügender Menge zu verschaffen. Als eine der gewöhnlichsten Ursachen einer solchen
F u tte ra rmu t ist andauernd schlechte Witterung anzuführen. Man darf hierbei nicht außer
acht lassen, daß Futtermangel für Larven und Hummeln durchaus nicht ein und dasselbe
ist. Die Hummelfamilie, welche heute in die Gefangenschaft übergeführt wird und Bienenhonig
zur Nahrung vorgesetzt bekommt (den sie auch sofort in ihre Zellen herüberträgt)^
beginnt nichtsdestoweniger die Larvenzellen zu zerstören und Larven herauszuwerfen, deren
Entwicklung fast vollendet ist: die Hummeln selbst waren mit Futter in Fülle versehen,
doch taugte dieses Futter nicht für alle Larven. Wenn ich sie nun für anderthalb Tage
der Möglichkeit beraubte, auszufliegen, so trat Mangel an Larvenfutter und Herausschaffen
der Larven aus dem Neste ein.
Es kann Vorkommen, daß Hummeln, welche Abends in das Zimmer gebracht werden,
und am ändern Morgen die Möglichkeit erhalten, nach Tracht auszufliegen, trotzdem Larven
vernichten. Die Ursache für die Vernichtung liegt hier, wie ich beobachten konnte, in der
Tatsache eines bestimmten V e rh ä ltn is s e s zwischen der Qu an tität der N a c h zucht,
d. h. der Menge von Mündern, d ie zu v e r p f le g e n s in d , und der
A r b e i t s k r a f t d e r F am ilie . Normalerweise stellt dieses Verhältnis eine Art von
Gleichgewicht dar. Wenn aber das Gleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Arbeit und
dem Angebot derselben gestört wird, so hat dies sofort eine gewaltsame Verminderung der
überflüssigen Münder zur Folge. Natürlich besteht nicht etwa in der Seele der Hummeln
ein psychologischer Zusammenhang zwischen der Vorstellung des Futtermangels und den
dadurch bedingten Folgen, indem die Tiere etwa den Vernunftschluß zu ziehen vermöchten:
„es ist kein Futter für die Larven vorhanden, weshalb sie umkommen könnten, daher ist
es großmütiger, sie sofort zu töten und aus dem Neste zu entfernen“ ; sondern sie sehen
den Zusammenhang, der zwischen der Notwendigkeit die Larven zu füttern und dem Mangel
an Futter besteht, gewiß nicht im entferntesten ein, obgleich ihre Handlungen gleichsam
als die Folge von Überlegung erscheinen.
Eigentlich kommt es bei der ganzen Sache weniger auf die Vernichtung der Larven
(und Eier) an, als vielmehr auf eine Bewahrung des Nestes vor denjenigen Folgen, denen
dasselbe durch das Sterben der Larven ausgesetzt würde; dies geht am besten aus jener
Beharrlichkeit hervor, mit welcher die Larven m ö g lich s t weit von dem Neste fortgetragen
werden, wovon man sich so leicht überzeugen kann, wenn man das Hummelnest in einen
Kasten mit etwa io cm hohen Wänden legt. Sich auf eine derartige Höhe mit einer so
großen Last, wie sie die Larven bisweilen darstellen, zu erheben, liegt nicht in den Kräften
einer jeden Hummel, und so hört man denn von Zeit zu Zeit in dem Kasten ein „hilfloses“
fj
fortwährend unterbrochenes Summen: eine Hummelarbeiterin ist es, welche sich vergeblich
bemüht^ über die Wand des Kastens hinwegzufliegen; nachdem sie sich bis zu 5 cm Höhe
erhoben hat, fällt sie auf den Boden zurück, und dies wiederholt sich Dutzende und Hunderte
von Malen, bis man des Summens überdrüssig wird und der Hummel irgend einen Gegenstand
unterstellt, mit dessen Hilfe der Ausflug bewerkstelligt werden kann. Dabei kommt
es vor, daß die Hummel', von der Schwere ihrer Last herabgezogen, sogleich schräg zum
Boden hinunterfliegt. Ist dagegen die Hummel stark und die Larve nicht groß, so verschwindet
erstere bald aus den Augen und läßt die Larve sehr weit vom Neste zu Boden
fallen.
Dieser Instinkt des Vernichtens der Larven mußte sich durch Auslese nicht
nur aus dem Grunde bilden und erhalten, weil die infolge andauernden Futtermangels
zu Grunde gegangenen Larven durch ihre Verwesung für die ganze Familie
verderbliche Folgen hervorrufen würden; dies ist’ nur die eine Seite der
Sache und zwar nicht die wichtigste, indem ein Futtermangel, welcher so lange andauert,
daß er den Tod der Larven nach sich ziehen würde, nicht so häufig eintritt,
als daß er ein beständig sich wiederholendes und so leicht hervorzurufendes
Vertilgen der Larven zur Folge haben könnte; der Hauptgrund ist der, d a ß e in das
G le ich g ew ich t zwischen der N a ch fra g e nach F u tte r und dem A n g eb o t d e s selben
s törende r Futtermangel, se lb s t dann, wenn er auch nicht zum U n te r gän
g e der La rv en fü h rt, bei den Hummeln doch ä u ß e r s t sch äd lich e F o lg en
h e rvo r ru ft: er hemmt die E n tw ick lu n g und vermindert den Wuchs der A r b
e ite rw e ib ch en und damit auch die P ro d u k tiv itä t der A rb e it se lb st, welche
für die A llg em e in h e it zur Zeit des Auskommens der erwachsenen Weibch en
notwend ig ist.
Aus dem Obengesagten folgt von selbst, daß der Wechsel der Instinkte der Hummeln
in ihren Beziehungen zu den Larven nicht auf der Umwandlung eines mütterlichen Gefühls
in Haß, sondern auf einem Wechsel1 in den Einwirkungen beruht, denen die Hummeln
durch äußere und innere Faktoren ausgesetzt sind; ein jeder derselben ruft, wenn die Reihe
der Wirkung an ihn gekommen, das Auftreten des einen oder des anderen Instinktes hervor.
Die Faktoren wechseln und werden durch andere ersetzt, und ebenso wechseln auch
die Instinkte, welche durch sie bedingt werden; und wie die Faktoren, indem sie einander
ablösen, durchaus nicht einer aus dem anderen he rvo rg eh en (wie dies den Anforderungen
der menschlichen Logik entsprechen würde), so stehen auch die zeitlich aufeinanderfolgenden
Instinkte nicht in dem geringsten logischen Zusammenhänge miteinander, und jeder
von ihnen wird in absolut gar keiner Weise von einem anderen, vorhergehenden, bedingt.
Ein derartiger Gesichtspunkt macht natürlich die Annahme unmöglich, die Hummeln
könnten in ihren Larven zukünftige Mitglieder der Familie sehen. Ich erblicke vielmehr
in diesem Umstande einen neuen Beweis für die Richtigkeit meiner Auslegung. Ich zweifle
keinen Augenblick daran, daß die Hummeln weder eine deutliche, noch eine verworrene,
noch überhaupt irgend welche Vorstellung davon haben, daß die Larven Entwicklurigs-
stadien der Hummeln sind. Für sie sind die Larv en ein G egen stan d, bei dessen
B e ta s tun g sie auf einen empfangenen Reiz in einer b e s tim m ten , e r b l i c h
fe s tg e s te llte n A r t und W eise re a g ie ren , ^ und n ich ts weiter.
Zoologlca. Heft 46. 15