„Ich meine, die Entwicklung der verschiedenen Formen kann nicht den äußeren Bedingungen
zugeschrieben werden, weil
1. in verschiedenen Tälern an derselben Seite des Berges, wo Nahrung, Klima und
Feinde dieselben sind, doch eine Verschiedenheit in den Arten stattfindet, weil wir
2. keine größere Verschiedenheit in den Arten finden, wenn wir von der regen-,
reicheren zu der trockeneren Seite hinübergehen, als wenn wir die Formen aus
Tälern vergleichen, die durch eine gleiche Entfernung getrennt sind. Weil,
3. wenn wir, keinen Grund finden könnend in den mehr deutlichen Bedingungen, die
Verschiedenheit in den Arten verborgenen Einflüssen, wie z. B. magnetischen
Strömen, zuschreiben, wir annehmen müssen, daß es wichtige Verschiedenheiten
in diesen verborgenen Bedingungen für jede folgende Meile (nacheinander) gibt,
und daß ihre Macht auf den Sandwich-Inseln iooomal größer ist als in den
meisten Ländern.“
Wie weit die unter „3“ angeführten Bedingungen stichhaltig sind, überlasse ich dem
Urteile des Lesers.
Warum äußere Bedingungen zur Bildung von Varietäten auf den Sandwich-Inseln
nicht mit die Ursache sein sollen, will mir nicht recht einleuchten. Wenn wir mit offenen
Augen und klarem Sinn durch die Natur wandern, so können wir überall äußere Bedingungen
finden, denen,, sich die Tier- und Pflanzenwelt anpaßt. Warum gerade auf den
Sandwich-Inseln nicht
Halden-Pflanzen nehmen eine stärkere Behaarung an, um dadurch eine zu starke Verdunstung
zu verhindern. Dieselben Arten auf feuchtem und den Einwirkungen der Sonnenstrahlen
weniger ausgesetztem Boden tragen eine weit geringere Behaarung. Dieselben
Pflanzen, welche auf Moorboden oder auf wärmerem Sandboden wachsen, variieren sehr
voneinander, bei den auf dem kalten Moorboden wachsenden findet sich eine stärkere Behaarung,
z. B. Cineraria, die Blätter werden fest und lederig, die Stomata weniger, Andromeda,
Erica u. a. m. Sie passen sich den äußeren Bedingungen an. Die Limnaeen unserer
kalkarmen, anmoorigen Gräben und Tümpel degenerieren zu sogenannten Hungerformen.
Dasselbe ist an den Planorben zu beobachten. Helix arbustorum findet sich an den
Schiengen unserer Flüsse in einer bedeutend größeren und dunkleren Form als in den Wäldern
und Gebüschen. Helix lapicida, eine echte Felsenschnecke, hat sich in unserer nord-
westdeutschen Tiefebene die Hainbuchen des Hasbruchs und des Vareler Urwaldes zu ihrem
Wohnsitze gewählt. Die harte Rinde der Hainbuche muß ihr die Felsen ersetzen. Das Gehäuse
ist kleiner und höher als das der Gebirgsbewohnerinnen. In einem sumpfigen Walde
der Holthorst bei Vegesack findet sich neben normalen Färbungen und Bändervarietäten
der Helix hortensis eine kleine Form mit kastanienbrauner Färbung und schön rosenroter
Mündung.
Sollten nicht auch ähnliche Bedingungen auf den Sandwich-Inseln vorhanden sein?
Daß trotzdem hüben und drüben hundert und mehr Fragen der Lösung harren und
viele wohl immer ein Rätsel bleiben, welches z. B. die Ursache ist, daß an ein und derselben
Lokalität von unserer gewöhnlichen Helix nemoralis und hortensis Hunderte und
mehr Formen-, Farben- und Bänder-Varietäten auf einem oft nur wenige Quadratmeter einnehmenden
Raume sich finden, daß auf Molokai auf einem wenige Kilometer umfassenden
Raume die Achatinella bella in zahllosen Bänder- und Farbenvarietäten auftritt, das sind
Tatsachen, die sich täglich vor unserem Auge abspielen, fragen wir aber nach der Ursache
dieser geheimnisvollen wunderbar wirkenden Kraft, so stehen wir vor einem mit sieben
Siegeln verschlossenen Buche.
Wenn Gulick weiter in seiner Arbeit keine Erklärung dafür findet, warum die Achatinellen
auf so kleine Gebiete beschränkt sind, während die amerikanischen und europäischen
großen Helices, sowie die großen Achatinen Afrikas sich über 1000 und mehr engl. Meilen
erstrecken, so liegt doch wohl der Hauptgrund zunächst darin, daß die Achatinellen an die
enge Scholle der Insel gebunden sind und auf derselben wieder an die ihnen zusagenden
Gebiete. Daß in den großen Weidegebieten zwischen dem östlichen und westlichen Gebirgszuge
Oahus sich keine Achatinellen finden, ist wohl selbstverständlich. Der geneigte Leser
wird ebenso vergeblich in unseren ausgedehnten Marschen, Heiden und Mooren nach
Schnecken suchen. Daß sich auf der westlichen Hälfte von Molokai wenig oder gar keine
Schnecken finden, bedingt der kahle trockene Boden.
So wie wir in Deutschland nur da Schnecken finden, wo sich ihnen günstige Existenzbedingungen
bieten, so haben sich auch die Achatinellen auf den Sandwich-Inseln an den
ihnen • zusagenden Orten angesiedelt. Daß sie dort ihre Existenzbedingungen gefunden
haben, beweist das häufige Vorkommen an den betreffenden Lokalitäten. Werden sie aber,
wie Newcömb in seiner Arbeit angibt, durch Regengüsse auf trockenes Gebiet geschwemmt
und sind unter den verschwemmten befruchtete Exemplare, die nun ihre Eier auf einem
ihnen weniger günstigen Terrain absetzen, so bilden sich die „dwarf“ -Formen. Bieten diese
neu besiedelten Plätze ihnen nicht ihre Existenzbedingungen, so verkümmern sie und gehen
nach kurzer Zeit ein.
Daß bei den Arten, die auf beschränktem Raume in zahlreichen Individuen Vorkommen,
leicht eine Kreuzung Vorkommen kann, scheint mir ganz selbstverständlich zu sein.
Sollten nicht die vielen zur vulpina-Gruppe gehörenden Form- und Farbenvarietäten zum
großen Teil Kreuzungsprodukte ein und derselben Art sein? Züchten doch die Gärtner
künstlich aus unserem Gartenstiefmütterchen durch wechselseitige Bestäubung die verschiedensten
Farben- und Größenformen! Haben nicht die Engländer aus der gewöhnlichen
Haustaube durch künstliche Zucht die verschiedensten Taubenrassen gezüchtet? Warum
sollte,nicht die Natur dasselbe hervorbringen?
Sollten ferner nicht die vielen Farbennüancen bei den Achatinellen zum Teil auch
„Zweckmäßigkeitseinrichtungen“ sein I Wenn auf ein kleines Terrain soviel Individuen zusammengepfercht
sind, so müssen sie ihren Feinden viel eher auf fallen. Um sich nun
einigermaßen vor den Nachstellungen der Feinde zu schützen, haben sich im Laufe der
Zeiten Schutzfarben gebildet. Viele der baumbewohnenden Achatinellen haben die grüne,
gelbe oder bräunliche Laubfarbe; andere dagegen, die Erdbewohner, haben die Farbe der
braunen Farnrhizome oder des Erdbodens angenommen, um dadurch sich dem Auge des
Feindes zu entziehen.
Aus dem Angeführten dürfte zur Genüge erhellen, daß Gulicks These: „Exterhai
Conditions not the Cause“ nicht eo ipso als Dogma hinzunehmen ist, manche Ursachen
der wunderbaren Variabilität der Achatinellen lassen sich doch wohl auf Schutzfarben,
Zweckmäßigkeitseinrichtungen, Bastardierungen und dergl. zurückführen.