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erwachsenen Individuen eigentümlich. Das junge Insekt wendet dasselbe in Vollkommenheit
an, ohne jemals etwas Ähnliches gesehen oder gelernt zu haben.
Den zweiten Tag über sitzt unsere Hummel meistenteils auf der Wabe, und wenn
sie sich nunmehr einmal bis auf eine gewisse Entfernung von ihr entfernt, so beeilt sie sich
immer, auf die Wabe zurückzukehren. Sie hält sich an der O b e r s e i te der Wabe auf
und zwar meistens ganz ruhig.
Das L ich t b eu nru h ig t sie au g en s ch e in lich , und diese instinktive Erscheinung
ist wohl am meisten geeignet, in Erstaunen zu versetzen.
Der Zwinger, in welchem die Hummel sich befindet, ist auf 9/io seiner Ausdehnung
von einem undurchsichtigen Gegenstände bedeckt. Eine solche Anordnung der Dinge
scheint die Hummel vollauf zu befriedigen, indem sie an das übliche Halbdunkel im Neste
erinnert: die Hummel sitzt unter solchen Bedingungen ruhig auf einer Stelle. Es kann
dies leicht festgestellt werden, indem man die Breite der Spalte bald ein wenig vergrößert
und bald verringert.
Sowie man jedoch den für das Licht undurchlässigen Gegenstand ganz entfernt, beginnt
die Hummel eine große Unruhe an den Tag zu legen: sie geht rasch auf der
Wabe hin und her, indem sie den K op f in die Höhe heb t, als wollte sie etwas über
ihr B e fin d lich e s mit den Fühlern b e ta s ten ; endlich geht sie von der Wabe herab
(was sie den ersten Tag nicht getan hatte) und beginnt etwas zu suchen. Vor unseren Augen
gehen alle jene Handlungen der Hummeln vor sich, welche wir bei ihnen beobachten, wenn
der obere Teil ihres Nestes zerstört wird. Statt des gewohnten Halbdunkels erscheint Licht,
welches die Hummeln von der Zerstörung ihres Nestes in Kenntnis setzt und sie daran
mahnt, dieses letztere in Stand zu setzen, d. h. auszubessern. An früherer Stelle war bereits
davon die Rede, welche Rolle das Licht bei der Ausbesserung des Nestes spielt. Wir beobachten
diese Erscheinung hier bei einer Hummel, welche nie ein Nest ge seh en hat,
da ich dasselbe entfernt hatte, und die Wabe, aus der die Hummel hervorgegangen war,
sich direkt auf einer Grasunterlage befand. Ihre Beinchen nach oben streckend, suchte die
Hummel offenbar dasjenige, was sich über den Waben b e find en mußte und in Unordnung
gebracht worden war, weshalb es ausgebessert werden sollte.
Diese Tatsache bietet zwei in gleichem Maße interessante Momente: das Auftreten
bestimmter Handlungen unter der Einwirkung bestimmter Faktoren oh n e B e le h r u n g
und E r fa h ru n g ; ferner den Umstand, daß die Hummel diese Handlungen e r s t am
zweiten T a g e ihres Lebens offenbart, wo sie die Wabe zum ersten Mal verläßt. Diese
letztere Tatsache stellt uns vor die Frage: womit haben wir es hier zu tun, mit dem Auftreten
einer Psyche oder mit der Ablösung eines Instinktes durch einen anderen?
Aus folgenden Gründen entscheide ich mich für die zweite Möglichkeit. Man hätte
die soeben beschriebene Erscheinung als eine psychische Evolution auffassen können, wenn der
Hummel persönliche E r fa h ru n g und B eo b a ch tu n g en über die Unzweckmäßigkeit des
Verlassens der Wabe zu Gebote gestanden hätten, z. B. wenn sie sich bei dem Herunterkriechen
von derselben verirrt und den Rückweg nicht gleich gefunden hätte, oder wenn
sie durch das in der Umgebung der Wabe liegende Material hätte beunruhigt werden können.
Aber weder das eine noch das andere hat stattgefunden: die Hummel hat sich nicht verirrt,
und die Gegenstände konnten sie nicht beunruhigen, da sie die Wabe ja nicht verließ. Und
augenscheinlich blieb sie eben darum zunächst noch auf der Wabe, weil sie durch einen
Instinkt, der gerade diesem Entwickelungsstadium eigentümlich ist, dazu gezwungen wurde.
Da das Verlassen der Waben für eine junge und schwache, noch nicht zu Kräften gekommene
Hummel gefährlich wäre, so muß man die Zweckmäßigkeit eines solchen Instinktes
unter normalen Verhältnissen anerkennen. —
Oder w o llte etwa die Hummel in V o r a u s s ic h t der Gefahr sich auf keine
Untersuchungen einlassen, indem sie ihren Kräften nicht v e r t r a u t e ? Man könnte diese
grob-anthropomorphistische Erklärung nur dann diskutieren, wenn man Grund zu der Annahme
hätte, daß der Hummel diejenigen Gegenstände bekannt seien, welche eine Gefahr
darbieten und wenn die am zweiten Lebenstage auftretenden Instinkte von irgend einer auf
Erfahrung und Beobachtung hinweisenden Tatsache begleitet wären. Das war aber nicht
der Fall.
In der besprochenen Erscheinung sehen wir zweifellos dasselbe, was wir auch bei
den Spinnen in einer frühen Lebensperiode beobachten: die Hummel hält sich mit einem
Beine an der Wabe fest und verliert den Zusammenhang mit ihr auf keine Minute, ebenso
wie die jungen Lycosen den Zusammenhang mit ihrer Mutter nicht verlieren, zu welchem
Zwecke sie von einem Verbindungsfaden Gebrauch machen.
*
Fig. 71.
Fig. i
Ich habe bereits oben erwähnt, daß sich in einem Kokon der isolierten Wabe eine
Öffnung befand, durch welche die Puppe zu sehen war (Taf. I, Fig. 16 coc. 1.).
Am 11. Juni, etwa um 2 Uhr Mittags, bemerkte ich zwei Tatsachen: 1) wa r die
Puppe ga r nicht mehr zu sehen, indem die Öffnung vollständig verschlossen worden
war, und 2) war von einer der Zellen ein Teil des sie bedeckenden dunkelbraunen Wachses
hinweggenommen (Fig. 71). Da, wo das Wachs entfernt worden war, erschien die Zelle
nicht braun, sondern hell und glänzend gefärbt (p. s.). Diese Veränderungen waren durch die
Hummel hervorgebracht worden, welche die Verletzungen des Kokons ausgebessert hatte.
Da ich zu erfahren wünschte, auf welche Weise sie diese Arbeit ausgeführt hatte, zerstörte
ich den Kokon aufs neue, wobei ich das von demselben entfernte Wachs ziemlich weit von
dem zerstörten Kokon auf die Wabe legte; die Stelle, wohin das Wachs deponiert wurde,
ist auf Taf. I, Fig. 16 mit einem Kreuzchen (x) bezeichnet.
Nachdem die Hummel das Vorgefallene bemerkt hatte, machte sie sich sofort an die
Arbeit. Ihre eilige und geschäftige Tätigkeit nahm kein Ende; sie machte sich über der
Öffnung zu schaffen, ohne auch nur einen Augenblick zu ruhen, und arbeitete hauptsächlich
mit den Fühlern, Kiefern und dem vorderen Beinpaare, welches fast die ganze Zeit, hindurch
wie ein Paar Arme gebogen blieb (Fig. 72 und 73). Sie änderte so häufig ihre Lage,
Zoologica. Heft 46. 14