Es ist ferner von Interesse, daß gefangene B. terrestris zur Reparatur ihres; Westes
genau dieselben Grashälmchen verwenden, die ihnen zum Bau ihrer unterirdischen Behausungen
dienen. Wenn es aber dort bequem war, einen dünnen Grashalm durch das
lange Mäuseloch zu schleppen, der Instinkt, solche Halme zu tragen, also nützlich erschien,
so kann er hier keineswegs zweckmäßig genannt werden, indem nur sehr wenig derartiges
Material vorhanden ist. J ed en fa lls wäre es fü r die Hummeln in der G e fan g en s
ch a ft bequemer, das ge rad e zur Hand b e fin d lich e M a te r ia l zu verwenden;
aber ihr Instinkt verweist sie eben auf ein bestimmtes anderes Material, und so bleibt es
dabei auch in der Gefangenschaft.
Bevor ich die Beschreibung der Hummelnester und ihrer Ausbesserung beende, habe
ich noch folgende Frage zu beantworten: Welche Rolle spielt bei dieser g em e in s c h a f t lich
en A rb e it der Hummeln die g e g e n s e i t ig e H i l f e , welche die „Familien“glieder
einander angedeihen lassen, und welche nach der Ansicht vieler Autoren eines der wichtigsten
Merkmale für die Unterscheidung der so zia len Insekten von den solitären darstellt
und erstere mit den Gesellschaften des Menschen in nähere Beziehung bringt.
Viele der von mir bereits weiter oben angeführten Tatsachen sprechen in recht beredter
Weise dafür, daß die Bautätigkeit der Hummeln hur aus dem Grunde als g em e in s c h a ft lich
und mit g e g e n s e it ig e r H ilfe le is tu n g verbunden erscheint, weil sie von den
Hummeln am gleichen Orte und auf Grund gleichartiger, vererbter Instinkte ausgeübt wird;
in Wirklichkeit aber ist diese gemeinsame Arbeit wohl nichts weiter als die Summe der Arbeiten
einer Summe von Individuen, von denen jedes auf eigene Gefahr und Rechnung
tätig, ist. — Dies möge durch folgende Tatsachen weiterhin erhärtet werden.
In Fig. 106, deren Verständnis für den Leser notwendig ist, habe ich zehn verschiedene
Momente aus der Baugeschichte eines Wachsdaches (c. ci) über einer Wabenmasse (m. g.|l
dargestellt. Diese Wabenmasse bestand aus fü n f einzelnen Teilen (Taf. I-, Fig. 19, welche
denselben Gegenstand in dem Moment des Baues darstellt, welcher auf der Fig. 106 durch
b, b, b . . . wiedergegeben wird) gax, ga2, ga3, ga4, ga5 (der letztgenannte unter dem Dache
c.ci), die ich nebeneinander auf den Boden des Zwingers gelegt hätte; hier waren sie nach
einiger Zeit von den Hummeln durch wächserne Querverbände untereinander verbunden
worden. Auf Taf. I, Fig. 19 sind dieselben in ihrer natürlichen dunkelbraunen Färbung
dargestellt.
Die Überdachungsarbeit begann am Morgen des 11. August oberhalb der fünften
Wabe (zwischen A und B in Fig. 106), und die Linie, die das an diesem Tage Geleistete
umgrenzt, habe ich auf Fig. 106 mit der Ziffer 1 bezeichnet. Am 13. August war die
Arbeit zwar außerordentlich wenig, aber dafür in sehr lehrreicher Weise vorgeschritten.
Auf Fig. 106 markiert die Linie 2 den Zustand des Daches, wie er sich an diesem Tage
darbot, und in Fig. 107 sind die Zustände des Daches vorq 11. und 13. August nochmals
einzeln dargestellt; das Dach vom 11. August ist hier durch die Buchstaben A, D, C, B
bezeichnet, das andere durch die Buchstaben A, E, F, G, B. Die zwei hier dargestellten,
aufeinanderfolgenden Stadien der Arbeit zeigen mit völliger Klarheit, daß die Hummeln ihr
Werk nicht gemeinschaftlich beginnen und kontinuierlich weiterführen; sondern während
an einér Stelle gebaut wird, wird an einer anderen das früher Hergestellte wieder zerstört.
Anfangs hatte das Dach die Gestalt eines ziemlich regelmäßigen Vierecks A D C B, allein
nach zwei Tagen war ein Teil dieses Vierecks/^; E D F — verschwunden, während der
Teil FG G neu aüfgeführt worden war; hieraus ergab sich ein Dach von der unregelmäßigen
Form A E F G C B.
Auf welche Weise kann nun eine so merkwürdige, in der Tätigkeit dér solitären Insekten
bisher unbekannt gebliebene Erscheinung erklärt werden? Wer v e rb e s se r t das bereits
Gemachte; wozu wird die Arbeit in einer bestimmten Richtung durchgeführt, um
morgen wieder umgebaut zu werden und eine neue Richtung zu erhalten und so fort, wie
dies in Fig. 106 an den mit 3, 4, 5, 6; 7, 8, 9 und 10 bezeichneten Umrissen, die den Fortschritt
des Dachbaues darstellen, zu sehen ist? Die Erklärung hierfür ist viel einfacher,
F ig. 106. F ig. 107.
als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und besonders' viel einfacher als bei einer
Beurteilung ad horiiinem. Von dem letzteren Gesichtspunkte aus betrachtet erscheint die
Sache gänzlich unbegreifbar, wenn man nicht etwa „Anleitung durch Erfahrenere“, „die
Fähigkeit, einander zu verstehen und durch Mittel, die wir nicht kennen, einander Mitteilungen
zu machen“ und dergleichen mehr phantastische Vermutungen zulassen will. Die
Sache verhält sich vielmehr folgendermaßen:
Beobachtet man die Tätigkeit irgend eines einzelnen, am Aufbau éines Daches oder
sonstigen Ausbesserungen des Nesíés beschäftigten Individuums, so überzeugt man sich, daß
diese Tätigkeit eine von dem Individuum auf eigene Gefahr unternommene Arbeit, d. h. nur
eine Antwort auf bestimmte äußere Reize darstellt. Diese Tätigkeit nimmt keinerlei Bezug
auf die Interessen der anderen Individuen, und dieselbe als eine „soziale“ zu bezeichnen,
hat,gerade so viel Sinn, als1 wenn man die Tätigkeit einer Blüte — als Aufopferung im
Interesse der Art hinstellen wollte.
Obwohl mit einer Arbeit — der Aufführung eines Daches — beschäftigt, die nicht
nur eine persönliche, sondern eine soziale Bedeutung erlangt, arbeitet doch jede Hummel
Zoologlca. Heft 46. ^