Sphäre des Sehens und des Unterscheidens zu behalten, bis zu jener noch mehr elementaren
Fähigkeit, welche wir den Richtungssinn nennen.
Indem ich aus allem, was in diesem Kapitel über die Psychologie des Abfluges und
der Rückkehr der Hummeln gesagt worden ist, die Schlußfolgerung ziehe, fasse ich dieselbe
in folgender Reihe von Thesen zusammen:
I. Ein jeder .Flug der Hummeln setzt sich aus zwei verschiedenen Akten zusammen:
dem Abfluge aus dem Neste und der Rückkehr in dasselbe.
i'. Diese Wege werden dem Gedächtnisse unabhängig voneinander und auf verschiedene
Art und Weise eingeprägt und werden, ein jeder auf besondere Weise, im Ge^
dächtnisse behalten. Im übrigen wird nicht etwa der Weg des Abfluges aus dem Neste,
sondern derjenige des Rückfluges zu demselben im .Gedächtnisse behalten.
3. Die Hummeln behalten diesen letzteren Weg . durch sorgfältige Besichtigung nur
weniger in der Nähe des Nestes gelegener Gegenstände, oder mit Hilfe der leitenden Punkte
im Gedächtnisse.
4. Diese Besichtigung, sowie das damit zusammenhängende Einprägen im Gedächtnisse
kann bei den Hummeln nur bei derjenigen‘ Stéllung des Körpers erfolgen, wie sie
dieser letztere bei der Rückkehr nach dem Neste einnehmen wird.
5. Die Besichtigung von Gegenständen, welche, wenn auch undeutliche, Erinnerungen
an ihre Merkmale hinterlassen, erfordert von seiten der Hummeln ein besonderes Verfahren:
den Zickzack-Flug in der Nähe des Gegenstandes; Gegenstände, welche nicht auf diese
Weise besichtigt wurden, werden von den Hummeln dem Gedächtnisse nicht eingeprägt.
6. Der die Besichtigung begleitende Zickzack-Flug dauert nur so lange an, als die
Hummeln die in der Nähe des Nestes befindlichen Gegenstände sehen können, d: h., wie
dies durch zahlreiche Beobachtungen nachgewiesen wird, innerhalb einer Sphäre von
höchstens 175 cm "Durchmesser.
7. Über die Grenzen dieser Sphäre hinaus, welche ich die Sphäre des S eh en s
nenne, folgt eine andere, die Sphäre des U n te r s c h e id e n s , welche weder das Nest
selbst, noch die dasselbe umgebenden kleinen Gegenstände, sondern nur große Dinge umschließt,
welche die Hummeln in einer Entfernung von über 10 Metern nur undeutlich
unterscheiden können.
8. Auf die Unterscheidungsgrenze folgt derjenige Teil des Fluges, bei welchem die
Hummeln von dem Richtungssinne geleitet werden; von diesem lassen sie sich sowohl auf
dem Wege von dem Neste nach dem Orte, wo sie ihre Tracht einsammeln, als auch bei
der Rückkehr von da zum Neste führen.
9. Während des genannten Prozesses des Abfluges und des Heimfluges‘behalten die
Hummeln demnach nur eine geringe Anzahl von Gegenständen, oder richtiger gesagt, von
Punkten, in ihren Einzelheiten im Gedächtnisse, und zwar solche, welche dazu geeignet sind,
ihre Handlungen innerhalb der engbegrenzten Sphäre der Lage des Nestes zu leiten, und
welche von ihnen nur bei einer bestimmten Stellung ihres Körpers, so wie sie bei der Rückkehr
in das Nest eintreten wird, gesehen werden können.
10. Dieser letztere Umstand beweist, daß das Sehen der Hummeln auch innerhalb jener
Sphäre, in welcher sich das Nest befindet, nur sehr unvollkommen ist, indem sie hier nicht
alle in dieser Sphäre liegenden Gegenstände, sondern nur wenige leitende Punkte unterscheiden,
welche nicht das Resultat bestimmter Eindrücke von. bestimmten Gegenständen
sind,- sondern die Summe gleichzeitig empfangener, verschiedener (und infolgedessen natürlich
undeutlicher), rechts und links von der Linie des Rückweges in das Nest auf genommener
Eindrücke repräsentieren.
11. Die biologische Bedeutung der Vorkehrungen, von welchen uns die Einzelheiten
im Prozesse des Abfluges der Hummeln und ihrer Rückkehr in das Nest Zeugnis ablegen,
besteht darin, daß dem im höchsten Grade elementaren, unzuverlässigen und daher die
Wohlfahrt der Art nicht sicherstellenden Gedächtnisse möglichst wenig Arbeit zugemutet
wird, und daß gleichzeitig die Abhängigkeit der Art von diesem Gedächtnisse möglichst gering
sei. Infolgedessen wird von den Hummeln nur ein verschwindend kleiner Teil des
ganzen Weges beim Ab- und Heimfluge dem Gedächtnisse eingeprägt.
12. Eine wichtige Rolle im Prozesse des Abfluges und der Rückkehr spielt endlich
auch der Richtungssinn. Die biologische Bedeutung dieses Hilfsmittels ist offenbar ebenfalls
da zu suchen, wo der Ursprung aller übrigen Hilfsmittel des Abfluges und der Rückkehr liegt.
Darüber, wie sich die von mir erzielten Schlußfolgerungen zu den Ansichten der
Autoren in der gegebenen Frage verhalten, was sie an diesen Ansichten ändern und wie
sie dieselben ergänzen, darüber endlich,- wie sich die extremen Gesichtspunkte in Bezug
auf diesen Gegenstand miteinander vertragen fe- werde ich mich nicht weiter auslassen, da
dies an und für sich schon klar zu Tage liegt.
Als der erste Teil meiner Arbeit sich bereits im Druck befand, beobachtete ich einige
Erscheinungen im Leben der Plummeln, die einer Erwähnung wert sind, darunter auch
solche, welche sich auf die Frage über die Wahl eines Ortes für den Nestbau seitens der
Hummelweibchen beziehen, wovon im 2. Kapitel (Seite 13 u. ff.) die Rede war.
Im verflossenen Sommer (1905) beobachtete ich ein Nest von Bombus muscorum,
welches auf dem Gesims eines Fensters angelegt worden war, wobei das Flugloch gleichzeitig
von den Hummeln und von Sperlingen, deren Nest sich auf demselben Gesims befand,
benützt wurde. Die „Wahl des Ortes“ hatte sich hier trotz der günstigen ursprünglichen
Bedingungen für die Anlage eines Nestes, als verfehlt erwiesen.
Zu gleicher Zeit mit diesem Falle beobachtete ich Bauten von Bombus muscorum,
welche nicht auf der Erde, sondern in einer mehr oder weniger beträchtlichen Höhe über
derselben angelegt und sehr gut geraten waren. Faßt man diese Fälle zusammen und berücksichtigt
dabei diejenigen Beobachtungen, welche von früheren Autoren angestellt wurden
und welche darauf hinausliefen, daß Bombus muscorum sein Nest unmittelbar über der
Erdoberfläche aus Moos anfertigt, so ist man wohl zu der Annahme berechtigt, daß diese
Hummelart den interessanten Prozeß einer Abänderung des Instinktes der Weibchen bei der
Wahl eines Nistortes durchmacht.
Ich habe im 2. Kapitel darauf hingewiesen, daß die Wahl eines 'Platzes bei gewissen
Arten dadurch charakterisiert wird, daß einige derselben ihre Nester unter der Erde, andere