Auch das Scheitelorgan als Sinnesorgan scheint mir bei den meisten Larven eine
Rückbildung erfahren zu haben; wenigstens beschreibt Harmer (i6), daß die Larve von
Alcyonidium immer mit dem bimförmigen Organ voran schwimmt (und nicht mit dem
Scheitelorgan wie bei G.), und so wird es auch bei allen ändern Darmlosen sein, deren Bewegungen
von vornherein nach dem Festsetzobjekt gerichtet sind. Der kompliziertere Bildungsmodus
des Saugnapfs als geschlossenes Bläschen, gegenüber der einfachen sackförmigen
Einstülpung der Oralseite bei Alcyonidium, dürfte sich damit erklären lassen, daß
ein sich ins Atrium öffnender Sack für den Nahrung zustrüdelnden Organismus als Blindsack
schädlich wirken müßte.
Speziell dem Cyphonautes eigentümliche Charaktere sind: S e it lich e A b p la ttu n g
und extreme E in sen ku n g der Oralre gion . Die Bedeutung der seitlichen Kompression
für das Tier wird sofort klar, wenn man es schwimmen sieht. Es stellt die größten Flächen
möglichst horizontal, was besonders dann auffällt, wenn es sich in Spirallinien oder sich
nach Art eines Drachens hin und her werfend „hinaufschraubt“ . Die seitliche Kompression
ist also eine Schwebe-Anpassung. Eine solche scheint überall dort notwendig zu sein, wo
durch Einsenkung der Oralregion das spezifische Gewicht einer Larve erhöht wird, wie z. B.
bei-Pilidium (Seitenlappen) und bei Mitraria (Schwebestacheln). Die extreme Einsenkung
der Oralregion dürfte als Schutzeinrichtung zu deuten sein; mit ihr im unmittelbaren
Zusammenhang steht die Bildung des Innenbogens. Wie man sieht, bewegt sich diese
Entwicklungsrichtung in genau entgegengesetztem Sinne, als die der Hauptreihe, die durch
die Darmlosen repräsentiert wird, nämlich auf die Anpassung an pelagische Verhältnisse.
Nebenher geht die Bildung des Saugmuskels, und es ließe sich aus. dieser Konvergenz der
Schluß ziehen, daß die Larve während ihrer langen Lebensdauer und vermöge ihrer
Schwebe- und Bewegungsfähigkeit in die Lage kommt, sich an exponierteren Orten festzusetzen,
die gleichzeitig aber einen ausgiebigen Befestigungsapparat erfordern. Als Endpunki
dieser Entwicklungsrichtung hätte man wegen ihrer extremen Kompression (Fig. 19, Taf. IIl||
die „Hochsee-Larve“ anzusehen.
Trotz diesen, wie mir scheint, sekundären Anpassungen, werden die angeführten
Gründe, erstens: freie Entwicklung; zweitens: Larvenorgane, bei allen ändern Larven, mehr
oder weniger rudimentär, hier jedoch vollwertig, genügen, um die Auffassung des Cyphonautes
als die ursprünglichste Bryozoen-Larve zu stützen. Allerdings besitzt auch die Larve
von Tendra einen ausgebildeten Darmkanal, doch geben R e p ia ch o ffs Angaben (19, 11)
keine Auskunft, ob der Darm hier auch funktioniert.
Fragen wir nach weiterer Verwandtschaft, so führt uns der ganze Habitus unserer
Larve auf einen Vergleich mit der Trochophora, ein Vergleich, der nicht von heute ist, und
sich darauf stützt, daß sich bei beiden Larven an gleicher Stelle drei gleichwertige Organe
mit ähnlichem Bau vorfinden: Das Scheitelorgan entspricht der Scheitelplatte, die Corona
dem Prototroch, und der geknickte Darm steht zu diesen beiden im gleichen typischen Verhältnis.
Neben diesen drei Larvenorganen, die sich auch meist bezüglich histologischer Details
entsprechen, findet sich ein g le ic h e r D iffe re n z ie ru n g sp o l bei der typischen Trochophora
von Polygordius, wie bei Cyphonautes.
Wie nämlich W o lte re ck (21) nachweisen konnte, entsteht bei der Trochophora von
Polygordius der Rumpfkeim prä an a l (siehe Text-Fig. VIII), also genau an gleicher
Stelle, wo bei Cyphonautes der S au gn ap f entsteht (Fig. 6, Taf. II. Sgn. A.), der auch hier
einen großen Teil der definitiven Leibeswand zu bilden berufen ist. In der weiteren Entwicklung
dieser beiden Keime treten Divergenzen auf. Bei Polygordius umwächst der Keim
den After, bei C. bleibt er präanal; doch stehen diese Unterschiede mit den entgegengesetzten
Tendenzen der beiden Larven im Zusammenhang. In dem einen Falle, soll für das weiter
freilebende Tier ein terminaler Rumpfteil gebildet werden, der den After mit in sich einbezieht,
im anderen für das sich festsetzende
Tier eine Fußscheibe, die auch dann, wenn
der Darmtrakt erhalten bliebe (und dieser Fall
ist bei Actinotrocha verwirklicht), den Enddarm
außerhalb lassen müßte. Eine weitere,
wenn auch unwichtigere Ähnlichkeit besteht
zwischen der Nordsee-Species von Polygordius
und Cyphonautes darin, daß beide die definitive
Körperwand in eingestülptem Zustande
mit sich herumtragen. In beiden Fällen verschmelzen
bei der Metamorphose die Ränder
der ausgestülpten Körperwand mit einem
cephalen Abschnitt, wobei der larvale Lokomotionsapparat
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in dem einen Fall nach außen, __ . -v . Fig. VIII. aus W o lt e r e c k [21] Textfig. 3, junge Polygordiusin
dem ändern nach innen ausgeschaltet wird. larve mit praeanaiem Rumpfkeim.
Das nächstliegende sollte es sein, Actinotrocha, die Larven von Pedicellina und
Argiope zum Vergleiche heranzuziehen, da diese Larven sowohl als troch oph o roid e dem
Cyphonautes gleichstehen und obendrein die Tendenz, sich festzusetzen, mit ihm gemeinsam
haben.
Nun liegt bekanntlich die größte Schwierigkeit, diesen Vergleich durchzuführen, darin,
daß bei Actinotrocha und Pedicellina der larvale Verdauungs-Apparat in das fertige Tier
übergeht, während Cyphonautes das primäre Entoderm durch die Histolyse für sich und
die ganze Kolonie verliert. Bei der Larve von Argiope ist der Vorgang der Metamorphose
zu wenig bekannt, doch ist meines Erachtens Kow alew sk y s Fig. 21, Taf. II (18) nur so
zu verstehen, daß sich der neue Mund durch Einstülpung der Scheitelplatte bildet, also
ebenso, wie bei Cyphonautes. Sehen wir indessen von diesen unsicheren Vergleichspunkten
ab, so haben alle diese Larven das eine gemeinsam: sie setzen sich mit dem oralen Pol
fest. Und gerade dieser Pol scheint uns am ungeeignetsten, weil nun eine vollkommene
Umwälzung folgen muß, die unnötig wäre, wenn diese Larven, wie &s Ha tsch ek damals
annahm, sich mit dem Scheitelpol festsetzen würden. Nun bringt mich der Umstand, daß
der Cyphonautes vor dem Festsetzen noch eine Zeit lang mittelst Cilienschlags herumkriecht,
dieser Cilienschlag hiebei nach den beiden Seiten der Symmetrie verschieden gerichtet
sein muß, auf die Hypothese, daß die Bryozoen und die anderen sich mit der Oralseite
festsetzenden Formen von mittelst Cilienschlags kriechenden Formen abstammen mögen.