Wirbeltieren. Bei den Wirbellosen dagegen ist ein solcher Gedanke absolut ausgeschlossen.
So können denn auch die Wespen in keiner Weise darüber urteilen, was für einen Vorteil
sie davon haben, wenn sie ihre Larven einige Tage vor ihrem eigenen Untergange vernichten.
Ihr eigener baldiger Untergang ist ihnen nicht bewußt: sie vernichten die Larven
n ich t in d e r E rw a r tu n g von irgend etwas, sondern in fo lg e eintretenden Futtermangels,
infolge der Unmöglichkeit die Larven zu füttern, wie wir dies auch bei den
Hummeln gesehen haben.
In diesem Akte liegt nicht mehr Verständnis und Voraussicht als in dem umgekehrten
Fall: in dem Herbeischleppen von Nahrungsprodukten durch Hummeln, deren Nest vollständig
und unwiderbringlich zerstört worden ist, weshalb die zu der Stelle, wo es vorher
gestanden hatte, mit voller Ladung von Vorräten heranfliegenden Hummeln daselbst herumirren,
sodann wieder fortfliegen, von neuem zurückkehren u. s. w. Wie die Hummeln und
Wespen, indem sie ihre Larven vertilgen, eine einfache Reaktion als Antwort auf eine bestimmte
Gruppe ein wirkender Faktoren vollziehen, ohne dabei weder den Zweck noch die
Bedeutung ihrer Handlungen zu verstehen, so vollführen sie, indem sie Futter in das verödete
Nest, bringen, eine zweite Reaktion auf eine andere Gruppe von Faktoren.
Die in diesem Abschnitte behandelten, äußerst kompliziert aussehenden Erscheinungen
sind demnach in Wirklichkeit i) vollständig unbewußt und 2) durchaus elementar; sie können,
wie wir gesehen haben, einerseits auf die gewöhnlichen und außerordentlich verbreiteten
Ins tin k te des A u fsp a ren s von N ah ru n g s vo rrä ten und andererseits auf den ebenso
elementaren, bei den „sozialen“ wie solitären Tieren nicht minder verbreiteten Instinkt des
R e in h a lten s der B eh au su n g zurückgeführt werden.
K a p i t e l III.
Die Psychologie der „Gefühle“, welche die Glieder einer Hummelfamilie
einander gegenüber an den Tag legen.
In nachstehendem teile ich mehrere Tatsachen mit, welche Licht auf diese Frage
werfen können.
Wenn ein Hummelnest zerstört und die Königin getötet ist, so versammeln sich die
übrig gebliebenen Hummeln und zwar, wenn das Nest unterirdisch angelegt worden war*
irgendwo in seiner Nähe unter der Erde, andernfalls in den Überresten des Nestmateriales.
Diese Art, die Kolonie aufrecht zu erhalten, hat gar keinen Zweck, besitzt doch die Ge:
Seilschaft weder Eier noch Larven für die nächste Generation. Nur Hummelarbeiterinnen
sind übriggeblieben. So hätte denn die Liebe innerhalb der Gemeinschaft, die gegenseitige
Sympathie der Mitglieder die schönste Gelegenheit zu ihrer Betätigung gefunden: die
Hummeln haben außer ihren Genossen niemanden, für den sie Sorge zu tragen hätten.
Allein es tritt weder gegenseitige Hilfe noch Zuneigung zu Tage, und das gemeinschaftliche
Leben führt nur zum Untergang der Hummeln, einer jeden für sich, in einem
Winkel des „gemeinschaftlichen“ Nestes. Sie irren zwischen den Trümmern ihres alten
Nestes umher, indem eine jede von ihnen ihr einst so bedeutungsvolles, nunmehr aber
absolut unnützes Werk fortsetzt. Noch zwei Wochen, nachdem ein altes Nest von mir
zerstört worden war, lebten die Hummeln in ihrer neuen Ansiedelung, indem sie wie
früher ihre Arbeit verrichteten: sie schleppten Blütenstaub an den Beinen herbei, liefen
damit herum und wußten nicht was damit anzufangen, und flogen schließlich mit ihrer Last
wieder davon. Wenn man die Öffnung betrachtete, durch welche sie „besorgt“ aus- und
einflogen, wenn man beobachtete, wie sie den Störer ihrer Ruhe „drohend umschwirrten“,
bereit, ihre Wohnung und die „Ihrigen“ zu verteidigen, H- so hätte man mit Bestimmtheit
voraussetzen können, wir hätten es hier mit einem normalen Neste, mit der Sorge der
Hummeln um ihren Herd, um ihre „Brüder und Schwestern“, mit Fleiß und Bereitwilligkeit
zum Wohle aller zu arbeiten, zu tun.
In Wirklichkeit waren jedoch weder ein Herd, noch Larven, noch Puppen, noch eine
Gemeinschaft von Brüdern oder Schwestern vorhanden, sondern es waren nur Individuen
da, we lche einander fremd waren, von der Not nach einem Orte zusammengetriebene
Einzeltiere einer Art; Geschöpfe, welche weder ein gemeinsames Werk, noch irgend ein
gegenseitiges Interesse für einander hatten.
Die Beobachtungen über das Leben einer „Familie“ von Hummeln unter minder abnormen
Bedingungen führen uns zur gleichen Schlußfolgerung.
Setzt man den Hummeln ein Schüsselchen mit Honig vor, so kann es geschehen,
daß einzelne Hungrige darin ertrinken, ohne daß jemals eine der „liebenden“ Schwestern
ihnen zu Hilfe käme; wie auch nie eine Hummel zur Rettung einer anderen herbeieilt, die
der Beobachter mit der Pinzette am Beine festhält, so daß sie zu summen beginnt. —
Solcher und analoger Fälle gibt es unendlich viele; doch würde man aus diesen Fällen
allein nicht viel folgern dürfen, da die Hummeln notorisch taub sind und schlecht sehen.
Auf das Summen reagieren sie, im allgemeinen gesprochen, überhaupt nicht1, und die im
Honig ertrinkenden Genossen sehen sie wohl kaum. Jedenfalls werden durch diese Feststellungen
diejenigen Fälle, wo gegenseitige Sympathie der Hummeln etwa in Frage kommen
könnte, auf ein Minimum reduziert. Allein selbst innerhalb derartig enger Grenzen gibt es
bei den Hummeln, wie wir sofort sehen werden, keine Sympathie.
Am alleranschaulichsten werden wir hiervon durch die Beobachtungen an Hummeln
überzeugt, welche in einem von Füchsen zerstörten Neste zurückgeblieben sind. Ich habe
viele Male Gelegenheit gehabt, solche Beobachtungen anzustellen, und habe kein einz ige s
Mal gesehen, daß gesunde Hummeln, indem sie an verwundeten oder durch Erde halb
verschütteten Kameraden vorbeigingen, die sie auf Schritt und Tritt antrafen, und die s ie
mit den F üh le rn b e ta s te ten , sich auch nur eine Sekunde länger aufgehalten hätten,
als sie dies tun, wenn sie auf einen beliebigen anderen Gegenstand stoßen. Nur ein einziges
Mal beobachtete ich, wie zwei Hummeln sich eifrig mit einer zerquetschten Hummel aus
ihrer zu Grunde gegangenen Familie zu schaffen machten: sie sogen das Innere der
Hummel aus, worin wahrscheinlich Partikelchen von dem Honig enthalten waren, welchen
das Insekt „zum allgemeinen Wohle“ nach Hause gebracht hatte.
Sind aber die aus den oben mitgeteilten Tatsachen gezogenen Schlußfolgerungen
richtig, was soll dann die beständige „schmeichelnde“ Berührung mit den Fühlern, jene
„Begrüßungen“, mit welchen die Arbeiterinnen einander bewillkommnen und die „Zeichen
1 Siehe den Abschnitt über die „Spräche“ der „sozialen“ Insekten.