
Ein detailliertes Studium der Erscheinungen, die den Zerfall des Volkes begleiten,
hat mich außerdem noch zu der Schlußfolgerung gebracht, daß die Reduktion der Instinkte
in ihren einzelnen Bestandteilen in derselben Ordnung und Reihenfolge vor sich geht, wie
die Reduktion der Instinkte in ihrem ganzen Bestände, d. h. in der umgekehrten Reihenfolge
ihrer stammesgeschichtlichen Erwerbung.
Ich will damit sagen, daß die instinktiven Handlungen, die eine Bedeutung für das
Wohlergehen der „Familie“ besitzen, zuerst verschwinden; hierzu gehören: das Füllen der
Wabenzellen mit Honig, das Verteidigen der Vorräte den anderen Hummeln gegenüber, das
Füttern der Larven, d. h. die chronologisch zuletzt entstandenen Instinkte.
Unmittelbar darauf verschwinden diejenigen Instinkte, welche in gleichem Maße für
das Gedeihen des Volkes wie für dasjenige des Individuums selbst Bedeutung besitzen; hierher
gehören: die Instandhaltung des Nestes, die Reinhaltung desselben u. dergl. m.
Als letzte verschwinden endlich diejenigen Instinkte, deren Bestimmung ausschließlich
das Wohlergehen des Individuums ist, oder richtiger gesagt diejenigen, die für das Individuum,
auch ohne jegliche Beziehungen zu seiner Familie, notwendig sind, wie die Fähigkeit,
den Weg und die Nahrung ausfindig zu machen, sich zu verteidigen u. s. w.
Nachdem das Individuum die ersten von diesen Instinkten eingebüßt hat, behält es
noch die zweiten und dritten, es kann aber niemals Vorkommen, daß nach Verlust der
zweiten Instinkte die ersten beibehalten würden, oder nach Verlust der dritten — die zweiten.
Ich habe nunmehr noch mit einigen Worten zu beweisen, daß bei den Prozessen der
Instinktssubstitution, die vor Eintritt des Winters oder beim Zerfall des Volkes in der Gefangenschaft
eintreten, weder B ew u ß ts e in , n o ch V e rn u n f t a u ch nur den g e rin
g s ten A n te il haben. Daß dem in der Tat so ist, geht aus der Tatsache hervor,
daß durch die bloße Reduktion der Instinkte zweckmäßige Handlungen sogleich in sinnlose
und zwecklose verwandelt werden, und daß der etwaige Ersatz bestimmter Instinkte
durch andere durchaus nicht durch einen logischen Zusammenhang der betreffenden Instinkte
bedingt wird. Die Logik der Erscheinungen liegt vielmehr in der Evolution der
komplizierten Instinkte und in den Gesetzen ihrer Reduktion.
Eine Menge biologischer Tatsachen beweisen dies mit voller Augenscheinlichkeit.
Ich führe einige derselben an, die als besonders passende Beispiele hierfür dienen können.
Bei der Reduktion der auf das Einsammeln von Nahrung für die Familie gerichteten
Instinkte gibt es eine Periode, wo die Hummeln noch Pollen sammeln, mit demselben auch nach
Hause zurückkehren, ihn aber nicht in den Waben unterbringen, sondern wieder d a vo n flieg
en . Wenn die Bewußtheit einen Anteil an der Reduktion der Instinkte hätte, so würden
die Hummeln offenbar nicht Pollen einsammeln, dessen weder sie selbst noch ihr Volk bedürfen,
und mit welchem sie nichts anzufangen wissen; mit anderen Worten, indem die
Hummeln eine instinktive Handlung ausführen, haben sie nicht nur deren definitive Bedeutung
und Sinn nicht im Auge, sondern sie ahnen nicht einmal die nähere Beziehung der
ausgeführten Handlung zu der unmittelbar darauffolgenden; infolgedessen stellt sich der-
komplizierte Instinkt, so lange er in seiner ganzen Ausdehnung zur Ausführung gebracht
wird, bisweilen als wunderbar zweckmäßig und durchaus verständig dar; nach der Reduktion
aber erweist er sich als in demselben Maße auffallend sinnlos.
Ein anderes Beispiel:
An einem Volke, welches bei mir in der Gefangenschaft lebte, hatte ich, — als die
Hummelarbeiterinnen ganz aufhörten, Nahrungs Vorräte einzusammeln und Honig, der ihnen
dargeboten wurde, in die Waben herüberzutragen, als niemand zum Einsammeln mehr da
war und die Familie ihrem Ende rasch entgegenging — am 19. September Gelegenheit zu
beobachten, wie einige Hummeln sich daran machten, eine Zelle aus Wachs zuzubereiten.
Das benötigte Wachs gewannen sie zum Teile dadurch, daß sie das Dach zerstörten, zum
Teile aber wurde es von ihnen selber neu ausgeschieden; wobei diese Ausscheidung vermutlich
die Hummeln zu ihrer Tätigkeit .gereizt hatte. Da nun aber ein Teil der „sozialen“
Instinkte (im gegebenen Falle das Füllen der zum Einsammeln von Vorräten angelegten
Zelle mit Honig) verschwunden war, die verfertigte Zelle auch weder jemals mit Honig angefüllt
wurde, noch irgend jemandem Nutzen erweisen konnte (üm so mehr da niemand
vorhanden war, dem Nutzen gebracht werden konnte), so verwandelt sich das scheinbar
Vernünftige in etwas Sinnloses. Diese Sinnlosigkeit wird besonders augenscheinlich, wenn
man berücksichtigt, daß eine Menge von Zellen in den Waben des Nestes, von welchem
die Rede ist, leer geblieben waren; die Anfertigung einer neuen Zelle war demnach auch
von dieser Seite aus betrachtet, vollständig nutzlos.
Durch diese Beispiele, deren ich noch mehrere anführen könnte, wird mit genügender
Deutlichkeit bewiesen, daß die Hummeln dasjenige, was sie tun, nicht verstehen, und
daß das Bewußtsein, dessen Vorhandensein bei den Hummeln überhaupt in keiner Weise
bewiesen ist, an den Erscheinungen der Reduktion von Instinkten nicht den geringsten Anteil
hat.