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Das Verhältnis des Bronchialbaums zur Pulmonalis.
Wie erwähnt, tritt die Arterie seitlich und dicht vor dem Mesobronchium in die Lunge
ein. Nach ihrer ersten Teilung zieht sie noch eine kurze Strecke an der vorderen Wand
des Mesobronchium dahin, biegt nach Entsendung eines lateralen Stammes medialwärts um
den Hauptbronchus um, trennt sich von ihm und verstreicht fast geraden Weges zur medialen
hinteren Lungenspitze, während jener entgegengesetzt zum lateralen hinteren Rand verläuft.
(Taf. I, Fig. 9.) Aeby (1880 pag. 36) hat nun den Satz aufgestellt, daß die Lungenarterie in
der Wirbeltierreihe auf die Gestaltung des Bronchialbaumes einen entscheidenden Einfluß
ausiibe. Auf Grund von Korrosionspräparaten zahlreicher Säugetierlungen zeigte dieser
Forscher, daß die Pulmonalis an der Seite des Hauptbronchus dahinziehe und in einem bestimmten
Verhältnis zu ihm gelagert sei. In diesem Verhalten erblickte er ein hochwichtiges
Moment für die Entwickelung des Bronchialbaums in der Wirbeltierreihe und stellte an der
Hand seiner Untersuchungen, die er nicht nur auf die Säugetierlungen, sondern auch auf
jene der Reptilien und Vögel ausgedehnt hatte — allerdings auf Grund nur weniger Präparate,
die nicht abgebildet worden sind —, ein ep- und hypartielles Bronchialsystem auf.
Prüfen wir, wie sich unsere heutige Kenntnis vom Bau der Vogellunge zur Theorie Aebys
stellt, so müssen wir folgendes konstatieren:
Wenn auch die Pulmonalis nicht gleiche Verästelungswege mit dem Bronchialbaum
einschlägt, ja überhaupt selbständig ohne jede Rücksicht auf den Bau des letzteren in der
Hauptlungenmasse zur Ramifikation schreitet, so bin ich doch weit entfernt, aus diesem
Befunde den Einfluß der Arterie auf die Luftwege zu leugnen. Die ausgesprochene Zweiteilung
des Bronchialbaumes in der V o g e llu n g e aber gibt uns weit mehr als in der
S äu g e tie r lu n g e die Berechtigung, ein ep- und h y p a r te r ie lle s System zu unterscheiden.
Die Pulmonalis gelangt zwischen beiden Bezirken zur Ausbreitung und ermöglicht durch
ihre anatomische Lage eine stren g e S ch e id u n g in Bronchien, die über ihr dorsal- und
in solche, die unter ihr ventralwärts verlaufen, pfaf. I, Fig. 9; Taf. IV, Fig. 2.) Es entsprechen
demgemäß die in früheren Kapiteln bereits unterschiedenen Dorsal- und Ventralbezirke
jenen, welche wir hier als ep- und hypartielle Systeme kennen lernen.
Vergleicht man schließlich den Verlauf der feineren Blut- und Luftwege miteinander,
so zeigt es sich, daß der noch zu erörternden radiären Gruppierung der Bronchioli um die
Bronchi fistularii eine radiäre Anordnung des Blutkapillarsystemes parallel geht. Beide
Systeme nehmen eine gleiche Verlaufsrichtung und suchen sich in ihren letzten Verästelungen
geradezu auf, indem die beiderseits entwickelten Kapillaren dicht nebeneinander dahinziehen.
Durch zahlreiche Kommunikationen bilden dieselben jederseits ein Netz von Kanälen und
sind somit abwechselnd miteinander verschlungen. (Taf. II, Fig. 5.) Diese überaus zierliche
Verteilung von Luft- und Blutwegen in einem relativ kleinen Raume führt uns zu dem
berechtigten Schluß, daß die Vogellunge selbst den höchsten Ansprüchen an ihre respiratorische
Leistungsfähigkeit gerecht zu werden im Stande ist. Von der erstaunlichen Energie
dieses Organs waren zwar die früheren Autoren hinreichend überzeugt, aber noch immer
fehlte der Nachweis, daß der feinere anatomische Bau der Leistung parallel geht. Noch
Gegenbaur (1901 pag. 36) sucht in der Komplikation der Vogellunge schlechthin den Faktor,
der diesen ergiebigen Gasaustausch bedingt, indem er sagt:
„Somit ist in der Vogellunge eine zwar sehr mannigfaltige, aber doch im allgemeinen
übereinstimmende Struktur ausgeführt, welche alle übrigen an Komplikation übertrifft. Dadurch
sind wir berechtigt, das Organ als vollkommenstes an das Ende der Lungengebilde
zu stellen, wenn auch entfernte Vorbereitungen dazu bereits bei Reptilien bestehen.
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Vergleichend-anatomische Ergebnisse.
Da bisher die v e rg le ich en d e Anatomie der Vogellungen wenig Berücksichtigung
fand, hielt ich es für angebracht, die Bronchialbäume von 35 verschiedenen Vogelarten zu
prüfen und miteinander zu vergleichen. Der besseren Übersicht halber habe ich Tabellen zusammengestellt,
deren Zahlen mit den beigefügten Photographien die Abweichungen vor
Augen führen sollen. Bei Anfertigung der Tabellen konnten allerdings nur die hauptsächlichsten
Bronchien Berücksichtigung finden, und zwar speziell alle diejenigen, welche zur
Bildung der dorsalen und ventralen Lungenoberfläche beitragen.
Bemerkt sei noch, daß die Messungen an Celloidin- bez. Photoxylinpräparaten ausgeführt
wurden, und infolge der unvermeidlichen Schrumpfungsstellen an solchen Korrosionen
Ungenauigkeiten untergelaufen sein können. Da indes die Messungen sämtlich in
gleicher Weise und unter denselben Bedingungen erfolgt sind, so wird doch der Leser an
der Hand der Tabellen im Stande sein, eine richtige Vorstellung von der Architektonik der
einzelnen Bronchialbäume zu gewinnen.
Das Grundgesetz für die Gestalt der untersuchten Vogellungen kann nach Messungen
von Länge, Breite und Höhe derselben mit kurzen Worten dahin präzisiert werden, daß die
länglich-ovale Form zumeist auf tritt, und daß das Verhältnis zwischen Länge, Breite und
Höhe fast durchweg nach dem Schema 4:2:1 durchgeführt ist, wobei die Einheit das Maß
für die Lungenhöhe darstellt.
Der Hauptbronchus ist bei seinem Eintritt in die Lunge in vielen Fällen oval geformt.
Bei Tadorna, Cygnus, Anthropoides, Milvus, Corvus, Molothrus, Emberiza, Passer,
Habropyga, Gymnocephalus und Dendrocopus fand ich ein kreisrundes Lumen vor.
Das ventrale Bronchialsystem zeichnet sich durch grob angelegte dicht nebeneinander
dahinziehende und ¿meist großkalibrige Luftwege aus. Die Kaliberverhältnisse der Dorsalbronchien
bieten dagegen eine größere Mannigfaltigkeit. Bei einigen Arten sind letztere
sämtlich von gleicher Weite, bei anderen treten die vorderen und mittleren kräftig hervor,
während die hinteren und letzten immer schwach entwickelt sind. Regelmäßig jedoch bleiben
sie hinsichtlich ihres Kalibers hinter denen des viel g röb e ren v en tralen Systems zurück.
Auf beiden Lungenbezirken aber tritt uns stets eine ausgesprochene Abgrenzung in zwei je für
sich ausgeprägte Bronchialregionen mit verschiedenartigen Weitenverhältnissen entgegen. Wir
finden sowohl dorsal- als ventralwärts ein gröberes und feinkalibriges Röhrensystem, welches
oben (dorsal) auf der inneren und äußeren Fläche auftritt, unten dagegen auf einen vorderen
und hinteren Abschnitt verteilt ist. (Siehe Taf. I, Fig. 5, 6 und Taf. IV—V.)