Die Extremitäten jenes Embryos, von welchem das jü n g e r e der beiden Schädelmodelle
angefertigt ist (der Embryo selbst ist in Figg. 118— 120 dargestellt), sind auf den Figuren 174
u. 175 abgebildet. Die Verhältnisse bei der Bauch flö s s e (Fig. 175) sind hier noch am
primitivsten. Wir finden dort nur eine b a s a le , e in h e itlic h e K n o r p e lp la tte und von
dieser ohne T re n n u n g in einem fast ganz regelmässigen Halbkreis abgehend 22 teils knorpelige
teils erst vorknorpelige R a d ie n (letztere am vorderen und hinteren Ende der Extremität).
Die B r u s tf lo s s e ist bereits weiter vorgeschritten. In ihr ist wiederum eine Basal-
p l a t t e vorhanden, die jedoch schon in d re i Stücke geteilt ist (Pro-, Meso-, Metapterygium).
Von ihr strahlen 24 Radien aus, zu denen noch ein rostrales Stück hinzukommt, das offenbar
aus dem Verschmelzen von zwei weiteren Radien entstanden ist (ro ). Die Knorpelstrahlen
sind bei der Brustflosse bereits deutlich von der Basalplatte a b g e s e tz t und weisen auch
schon Andeutungen weiterer Gliederungen auf. Die Verschmelzungen und Verschiebungen
aber, welche an der Flosse des E rw a c h s e n e n offenbar stattgefunden haben, (Vergleiche die
Abbildungen bei Rabl1) p. 482) sind hier jedoch noch n ic h t aufgetreten. Bald darauf machen
sich aber Verlötungen einzelner Radien bemerkbar und zwar zuerst an d en Stellen, wo
ihre basalen Teile infolge der Gestalt der Flossen dicht aneinandergedrängt liegen, — also
an dem k a u d a le n Ende derselben. —-
Fassen wir nun zum Schluss alle in den obigen Ausführungen mitgeteilten Thatsachen
zusammen, so können wir wohl sagen, dass Callorhynchus im allgemeinen den übrigen Selachiern
sehr ähnlich ist, nichtsdestoweniger aber eine ganze Anzahl von Merkmalen aufweist, die
einerseits auf eine p r im itiv e r e Organisation wie jene sie besitzen, hindeuten, andererseits
wiederum auch bereits Kennzeichen einer h ö h e re n E n tw ic k e lu n g in sich tra g e n .
Chamäleo.
Endlich lege ich Ihnen noch die ebenfalls nach der Bornschen Methode angefertigten
Modelle zweier Entwickelungsstadien von C h am ä leo v u lg a r is , dessen künstliche Zucht mir
— wenn auch nicht bis zum Erlangen ä lt e r e r Embryonen — geglückt ist, sowie eine grössere
Anzahl von Abbildungen (Figg. 175—212) vor. Dieselben sollen namentlich zur Demonstration
der Entstehung des A m n io n s , des m ittle r e n K e im b la tte s und des D o tte r s a c k e s dienen.
Die Entwickelung des Chamäleon ist in mancher Hinsicht eine ganz eigenartige und
weist einige Züge auf, wie sie in der Ontogenie anderer Tiere bis jetzt wohl kaum beobachtet
worden- sind.
Am auffallendsten ist zunächst die ganz ausserordentlich frühe; Entwickelung des
Amnions, die wohl f r ü h e r e r fo lg t wie be i irg e n d e inem a n d e r e n T ie r , so weit es
bis jetzt bekannt ist. Zu einer Zeit, in welcher der völlig k r e is fö rm ig e Embryonalschild
fast durchweg erst zweiblätterig ist (Figg. 175, 176, 183—185) erscheint an seiner Peripherie
e in e -z irk u lä re . F a l te , die im Gegensatz zu der bei Chamäleo sonst sehr langsam fortschreitenden
Entwickelung äusserst rasch den Schild überwächst, so dass sie sich schon im Verlauf
von wenigen Stunden in einem fast genau oberhalb des Mittelpunktes desselben gelegenen
N ab e l schliesst. Die Embryonalanlage erscheint dann als eine allseitig geschlossene, meistens
J) C a r 1 R ab 1, Gedanken und Studien über den Ursprung der Extremitäten. Zeitschr. wissensch. Zool. Bd. LXX, 1901.
abgeplattete oft aber auch fast kugelrunde Blase, deren eine Halbkugel aus dem Amnion,
die andere aus den Embryonalschild gebildet wird.
Die Amnionfalte ist auch hier, wie es ja stets der Fall ist, eine D o p p e lf a lte ; die
in n e r e Lamelle derselbenÉiildet das w a h re Am n io n , die ä u s s e r e dagegen die s e rö s e
H ü lle ; beide hängen auch später noch am A m n io n ab e l mit einander zusammen, der sich
allmählich, sobald der Embryo seine kreisförmige Gestalt verliert und in die Länge wächst,
in eine schmale A m n io n s e ro s ö n a th auszieht.
Anfangs bestehen die Amnionfalten allein aus dem ä u s s e r e n Keimblatt; nur an der
Peripherie nimmt das Entoblast in ganz geringem Masse an ihnen teil; sehr bald wird letzteres
aber ganz zurückgedrängt, wenn nämlich das m ittle r e Keimblatt in das Amnion hineindringt,
was äusserst f rü h z e itig geschieht. Letzteres spaltet sich dabei zunächst n ic h t in eine
parietale und eine viscerale Lamelle, so dass wahres Amnion und seröse Hülle daher anfangs
noch ein gemeinsames, einheitliches Mesoblast besitzen (Figg. 188 u. folgende).
Am E k to b la s t d e r s e rö s e n H ü lle kann man von Anfang an zwei Lagen unterscheiden,
von denen die ä u s s e r e aus grossen, flachen Zellen besteht, wie ich sie in besonders
guter Ausbildung auch bei Sphenodon fand. (Abgesehen davon, dass ich diese Zellenlage n u r
auf der serösen Hülle so stark differenziert sah und n ic h t auch auf dem Ektoblast des Embryos
selbst oder des Amnions, entspricht sie dem Teloderm Mehnert’s). Ich halte die grossen
Ektoblastzellen der serösen Hüjjf§ für die Vorläufer des Chorionektoderms der Säugetiere und
vergleiche sie mit den von Selenka beim Chorion der Beuteltiere beschriebenen „Zottenzellen“.
Ebenso wie sie bei den Säugetieren von grösster Bedeutung für die Ernährung des Embryos
sind, haben sie sehr wahrscheinlich auch bei den Reptilien bereits eine ähnliche Funktion,
indem sie zur Resorption des Eiweisses beitragen.
- Schon an anderer Stellex) machte ich darauf aufmerksam, dass die Amnionentwickelung
des Chamäleon höchst wahrscheinlich der ursprünglichen Entstehung dieses Organs unter
allen Amnioten am nächsten steht; und einen deutlichen Fingerzeig für dessen Phylogenese gibt.
Ich wiederhole diese Ansicht hier nochmals, indem ich unter Ablehnung der bisherigen
mechanischen Erklärungsversuche des Amnions betone, dass die Ringfalte des Chamäleon-
Amnions ebenso aufzufassen ist wie jede andere Faltenbildung (Medullarfalten u. s. w.) im
Laufe der Ontogenie, die wir bis jetzt ja auch nicht auf rein mechanische Weise zu erklären
im Stande sind, und dass sie wahrscheinlich ihrer selbst willen durch Zuchtwahl erworben
wurde beim Übergang von der aquatilen zur terrestrischen Entwickelung. Es erscheint mir
einleuchtend zu sein, dass es bei diesem Vorgang am vorteilhaftesten war, wenn die noch gar
nicht differenzierte Embryonalanlage durch eine e in z ig e (Ring-) Falte so rasch und so vollständig
wie möglich gegen die äusseren Einflüsse geschützt wurde. Diese von Chamäleo noch
bewahrte primitive Amnionform wurde im Laufe der phylogenetischen Entwickelung bei den
übrigen Amnioten vielfältig abgeändert, wobei offenbar die z e itlic h e V e r s c h ie b u n g in
dem e r s te n A u f tr e te n d e r A m n io n fa lte eine Hauptrolle spielte; durch diese allein lassen
sich fast alle Differenzen in der Entwickelung und Ausbildung dieser Eihülle bei den verschiedenen
Amnioten erklären.
») In dem Vortrag „ B e i t r ä g e z u r K e n n t n i s d e s Amn i o n s ; s e i n e onto- und p h y l og e n e t i s c h e
E n tw i c k e l u n g “ , Verh. Ges. deutsch. Naturforscher u. Ärzte, Hamburg 1901, sowie in meiner Abhandlung über d i e E n t -
Wickelung der E i h ä u t e der Re p t i l ien :uind Vög e l im Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwickelungslehre
der Wirbeltiere, herausgegeben von O. Hertwig, Jena 1902.
Zoologica. Heft 39. ®