Der Ansicht, dass kleine Drüsenzellen ursprünglich allen Schmetterlingen, sowohl
Männchen als Weibchen, zukommen, ist. auch Gu e n t h e r (42). Ob dieselben aber gleichzeitig
als Schuppenbildungszellen funktionieren oder ob sie, wie Gu e n t h e r meint, neben diesen angelegt
werden, darüber kann nur eine eingehende entwickelungsgeschichtliche Untersuchung
•des Puppenflügels entscheiden.
Von vornherein ist anzunehmen, dass das Sekret denselben Geruch hat wie die Futterpflanze;
denn einesteils lockt derselbe die Weibchen stark an und andernteils ist cs am einfachsten,
wenn die von der Larve der Futterpflanze entnommenen Stoffe möglichst wenig verändert
verwendet werden können. So duftet Pieris napi ähnlich wie der Saft gewisser Cruci-
feren und Acherontia atropos wie Solanum tuberosum. Wertvoll und ausschlaggebend in
dieser Hinsicht würde eine Untersuchung an tropischen Faltern sein, da ihr Duft oft so stark
ist, dass er leicht wahrgenommen und mit dem ihrer Futterpflanze verglichen werden kann.
Den geeignetsten Ort für Anlage der Duftorgane boten die Flügel. Ihre breite Fläche,
die durch die Schuppen wesentlich vergrössert wird, und ihre Bewegungen sind der Ausbreitung
des Sekrets sehr förderlich. Und so finden wir denn auch die meisten der genannten Organe
als Duftschuppen auf den Flügeln. Dass jene Schuppen aus gewöhnlichen hervorgegangen
sind, hat K ö h le r (39) an Lycaeniden nachgewiesen und haben wir auch an Nisoniades tages
und Danais plexippus gesehen.
Der Vorteil, den die Lage der Duftschuppen auf den Flügeln bietet, kann aber leicht
zu einem Nachteile werden- Bei schneller Flügelbewegung wird das Sekret allzurasch verdunsten.
Deshalb bildeten sich bei manchen Schmetterlingen Schutzvorrichtungen. In Flügelfalten
und Umschlägen des Randes sehen wir die nächste Entwickelungsstufe der Duftorgane,
wie sie uns z. B. bei Argynnis-, Danais- und Hesperia-Arten entgegentritt. Dass wir es hier
mit besseren Fliegern zu thun haben, kann man in unserer Heimat wohl beobachten. Während
z. B. Pieris napi einen langsamen, gaukelnden Flug besitzt, bewegt sich Argynnis paphia rasch
und elegant, und die Hesperia-Arten zeigen einen fast schwirrenden Flügelschlag.
Wird die Bewegung der Flügel allzurasch, so sehen wir die Duftorgane gänzlich von
ihnen verschwinden. So besitzen z. B. die Sphingiden, die ihre Flügel ausserordentlich schnell
bewegen, nur noch Duftorgane am Abdomen.
Für die Entwickelung der Duftorgane ist ferner die E rn äh ru n g von grösser Bedeutung.
Diese muss um so reichlicher sein, je mehr der Schmetterling auf das Duftorgan angewiesen
ist, je mehr dieses also leisten muss: Darum werden bei solchen Lepidopteren, die jene Organe
besonders stark in Anspruch nehmen müssen, die letzteren sich an solchen Körperstellen entwickeln,
wo eine reichliche Ernährung leicht möglich ist. Hierzu möge folgendes als Erläuterung
dienen: Bei den Tagfaltern trägt schon die Farbe dazu bei, dass die Geschlechter sich
finden. Gar oft kann man beobachten, wie. z. B. ein Pieris-Männchen einem Vanessa-Weibchen
nachfliegt, sobald es aber in seine Nähe kommt, von ihm ablässt. Den Männchen der Tagschmetterlinge
dient zunächst die Farbe, dann aber der Geruch zum Auffinden der Weibchen
und umgekehrt. Anders ist es bei Schmetterlingen, die im Dunkeln oder in der Dämmerung
fliegen. Bei ihnen kommt die Farbe als Anlockungsmittel nicht mehr in Betracht; sie sind
allein auf den Duft angewiesen. Und so sehen wir denn, dass bei ihnen das Sekret nicht nur
von kleinen Drüsenzellen geliefert wird, die allmählich aufgebraucht werden, wie die in den
Flügeln der Tagfalter, sondern bei ihnen sind die Zellen meist grösser und im Leibe, oder in
den Beinen gelegen, wo sie fortwährend vom Blute ernährt werden und so immer weiter Sekret
abscheiden können.
Eine eigentümliche Mittelstellung zwischen Tagfaltern und Schwärmern nehmen hier
wie auch in vielen^ anderen Beziehungen die Hesperiden ein. Bei ihnen sind noch Duftorgane
auf den Flügeln vorhanden, aber schon zeigt sich bei einer Reihe von ihnen die Unterstützung
der Flügelorgane durch Beinpinsel.
Drittens spielt in der Entwickelung der Duftorgane die Umgebung eine grosse Rolle.
Jeder Beobachter ist erstaunt über die hochentwickelten Duftorgane vieler exotischer Schmetterlinge,
wie wir sie bei Danais und Euploea sehen. Bei ersterem Falter ist das Flügelorgan
durch die Umbildung der Rippe erweitert; bei Euploea sind sogar vier Duftflecke vorhanden.
Ausserdem finden sich bei beiden grosse Duftorgane im Hinterleibe, die bei Euploea, wie wir
sahen, ebenfalls eine weitergehende Umbildung (Erweiterung) erfahren. Aber doch sind beide
nicht Nachtschmetterlinge, und Euploea zeigt zudem noch einen sehr trägen Flug. Beide Falter
aber leben in der heissen Zone mit ihrem üppigen Pflanzenwuchs. Die Luft ist mit Blumenduft
erfüllt. Von zuverlässiger Seite wurde mir versichert, dass man den Blütenduft Ceylons bis
weit hinaus auf das Meer wahrnehmen kann. Soll nun in dieser Fülle von Gerüchen der Duft
der Faltermännchen zur Geltung kommen, so muss er in ergiebiger Menge zur Abscheidung
gelangen. Und aus diesem Grunde sind wohl die Duftorgane bei gewissen exotischen Schmetterlingen
(interessant wäre ein Vergleich zwischen ihnen und solchen aus pflanzen- und daher
auch blütenduftarmen Tropengegenden) zu so hoher Ausbildung gelangt. Sie stellen das letzte
Glied dar in der Entwickelung eines der interessantesten Organe, das uns die an Überraschungen
so reiche Welt der Insekten bietet.
Nachtra g .
In der „Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie“ von A. v. Kölliker und Ernst Ehlers,-
71. Band, II. Heft, Leipzig 1902, erschien kurz vor Herausgabe dieser Arbeit eine Abhandlung
von P. Deegener, Berlin, über „Das Duftorgan von Hepialus hectus“. Der Verfasser hat an
reichhaltigem Material die Anatomie des Duftorgans eingehend untersucht und einige interessante
biologische Betrachtungen angestellt.